MOIN Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein

„Hör doch auf, sie manipulieren dich“

26.04.2018 | Ein Gespräch mit Emily Atef

Marie Bäumer (l.) und Emily Atef bei den Dreharbeiten zu "3 Tage in Quiberon"

Mit zehn Nominierungen ist „3 Tage in Quiberon" der absolute Favorit beim Deutschen Filmpreis. Im Gespräch erzählt Regisseurin Emily Atef, wie man das bretonisches Flair nach Fehmarn holt, wann Filmmusik nerven kann und warum Marie Bäumer erst kurz vor Drehstart in ihre Rolle eingetaucht ist.

Dein Film 3 Tage in Quiberon ist gerade im Kino gestartet, hat seine Weltpremiere im Berlinale-Wettbewerb gefeiert und ist zehn Mal für den Deutschen Filmpreis nominiert. Wie fühlt sich der Rummel an?

Es fühlt sich super an, auch wenn man manchmal kaum Zeit hat nachzudenken. Bei der Premiere in Hamburg kam Cordula Lebeck (Ehefrau des im Film portraitierten Fotografen Robert Lebeck, Anm. d. R.) zu mir und sagte: „Emily, versuch' manchmal eine Minute durchzuatmen und zu realisieren, was du gerade erlebst." Daran versuche ich mich zu halten – denn nicht jeder Film macht so einen Trubel. Das muss ich zurzeit schaffen: Durchatmen und die Situation genießen.

Die Innenaufnahmen des Hotels sind ja auf Fehmarn entstanden. Wie schwer war es, das französische Flair an die Ostsee zu bringen?

Wenn man in Südstrand auf Fehmarn ankommt, sieht man dort als erstes diese riesigen Türme vom IFA-Ferienzentrum. Das ist einfach ein 360-Grad-Unterschied zu Quiberon, dort ist alles lang und flach. Die Côte Sauvage ist eine unglaubliche Landschaft und der Atlantik ist so viel wilder und gewalttätiger als die Ostsee. In Südstrand haben wir im Haus des Gastes gedreht. Das ist eine riesige leerstehende Halle, aber die Wände, die sind alle original vom Designer Arne Jacobsen. Das Haus wurde 1965 erbaut, also ungefähr zur gleichen Zeit wie das Hotel in Quiberon. Auf Fehmarn haben wir also die Rohmaterie gefunden. Was Silke Fischer und ihr Team dort geschafft haben, war unglaublich. Sie haben tagelang beim französischen Ebay Telefone, Türgriffe, Lichtschalter und Lampen aus den 70ern ersteigert. Der Film spielt 1981, das heißt, alles was man hatte, kam aus den 70ern. Silkes Arbeit ist so unglaublich – und so subtil. Darum ist sie so gut. Was sie auf Fehmarn kreiert hat, ist der Wahnsinn: Ein Luxushotel und Sanatorium, in dem 1981 nur die reichsten und schicksten Leute in Frankreich sind – in dieser Halle, in der nichts ist.
Das einzige, das wir an einem anderen Ort auf Fehmarn gedreht haben, war das Restaurant von Hilde und Jürgs zum Schluss. Dort haben die Szenenbildner ein unglaubliches Buffet gebaut. Birgit Minichmayr, die die Hilde spielt, ist Vegetarierin. Aber ich wollte unbedingt, dass sie Muscheln, Scampis und Austern ist. Ich liebe Essenszenen! Unser Team hat es geschafft, die Shrimps mit veganem Material nachzubauen, auch in der roten Farbe. Und dann ist durch das Schwarzweiß im Film davon nichts zu sehen... Man sieht gar nicht die Stunden von Arbeit, die in diesen Details stecken.

Szenenbild aus "3 Tage in Quiberon"
Wie eng habt ihr euch an das Original-Interieur aus dem Kurort in Quiberon gehalten?

Wir hatten davon gar keine Bilder, nur die Lebeck-Fotografien aus den Hotelzimmern, nichts von der Lobby. Für alles, was Lobby und Restaurant ist, haben wir mit Silke Entwürfe entwickelt. Die Barsequenz war zum Beispiel auf dem schleswig-holsteinischen Festland, 15 Kilometer von Fehmarn entfernt. Das wirkt so unglaublich bretonisch dort, so fantastisch. Dabei war die Kneipe eigentlich mal ein chinesisches Restaurant! Auch die Außenszene ist dort gedreht – das ist das einzige Mal im Film, dass man die Ostsee sieht.

In den Kneipenszenen sieht man deutlich, wie emotional die Rolle der Romy Schneider ist – fast manisch. Marie Bäumer spielt das mit Bravour. Wie konntest du ihr dabei helfen, sich so fallen zu lassen?

Für Marie war das eine sehr intensive Arbeit. Ich glaube, am meisten aus dieser Angst, nicht durch den Romy-Mythos dringen zu können. Das Wichtigste für mich war immer wieder zu betonen, dass wir keine Imitation machen: Du spielst eine Frau, die in der Krise ist und, ach ja, sie heißt Romy Schneider. Aber das ist egal, es geht um diese Frau, die versucht wieder Luft zu kriegen. Intensiv und schwierig war es auch durch diesen Druck von Jahren und Jahren, in denen Marie immer mit Romy verglichen wurde. Und natürlich auch, weil es Romy so schlecht ging in dieser Zeit. Und Marie war wirklich während dieser drei Jahre, in denen ich den Film entwickelt habe, kaum ansprechbar. Immer wenn wir uns besucht haben, hat sie es geschafft, sich rauszureden. Das war nicht immer einfach für mich, aber ich wusste: Das wird, das wird. Und einen Monat vor Dreh ist sie dann voll eingetaucht. Und ich glaube, das war im Endeffekt auch gut. Denn sonst hätte sie zwei bis drei Jahre lang immer wieder diese Angstzustände gehabt. Und als sie springen musste, ist sie richtig gesprungen – mit dieser Stimme, mit ihrem Aussehen und der richtigen Emotion, die die Rolle braucht. Erst später im Schnitt habe ich gemerkt: Wow, sie ist ihr wirklich schon sehr ähnlich.

Silke Fischer (Szenenbild), Emily Atef, Maria Köpf (FFHSH) und Karsten Stöter (Produzent) bei der FFHSH WarmUp-Party 2018
Was würdest du Romy Schneider fragen, wenn sie heute noch am Leben wäre?

Das ist eine schwere Frage. Ich würde wahrscheinlich nicht auch noch etwas fragen, sondern eher mit ihr ins Gespräch kommen wollen. Und dann würde ich ihr helfen wollen, Ruhe zu finden. Aber guck mal, das macht quasi Romys Freundin Hilde. Darum ist es so toll, dass es diese fiktive Person Hilde gibt. Ich konnte beim Schreiben und Drehen durch sie durchdringen, sie war quasi mein Blick auf die Situation. Und ich habe den Eindruck, dass Hildes Blick auch der Blick des Publikums ist. Genau wie Hilde es tut, will man Romy zurufen: „Hör doch auf, sie manipulieren dich. Lass uns zusammen einen Tag verbringen und nichts machen und am Strand spazieren." Und dann macht sie es nicht.

Das Hamburger Komponisten-Duo Kaiser Maas hat die Musik beigesteuert, die viel Raum im Film einnimmt. Hattest du beim Schreiben des Drehbuchs schon Musik im Kopf?

Das habe ich selten. Ich finde Musik so wahnsinnig stark, sie ist eigentlich wie eine eigene Figur. Ich mag es überhaupt nicht, wenn man in Filmen die Musik im Hintergrund kaum wahrnimmt und sie überall präsent ist. Das nervt mich wahnsinnig und irritiert mich als Zuschauerin. Darum haben die meisten meiner Filme nicht viel Musik und wenn doch, dann möchte ich sie richtig hören und wahrnehmen. 3 Tage in Quiberon ist der Film, der viel mehr Musik hat als all die anderen, die ich je gemacht habe. Die Musik, die das wunderbare Duo Kaiser Maas kreiert hat, ist inspiriert von den Stimmungen, die ich geschrieben habe und die wir zusammen viele Stunden lang besprochen haben – es war eine sehr spannende Arbeit!

Im Film bekommt man das Gefühl, als wäre die Musik unmittelbar an Romy Schneiders Emotionen verknüpft – vor allem zum Schluss, wenn sie über die Felsen springt.

Dieser Walzer in dieser Sequenz ist sehr inspiriert von ihren französischen Filmen. Das ist der einzige Moment, in dem der Film eine Art Hommage an Romy Schneider darstellt. Denn vor Lebecks Kamera ist Romy wirklich Schauspielerin. Die Musik unterstützt das.
Mit Christoph M. Kaiser und Julian Maas habe ich zum ersten Mal für meinem Film „Wunschkinder" zusammengearbeitet. Die Zusammenarbeit mit ihnen macht sehr viel Spaß, und ist sehr leidenschaftlich. Wir zanken uns auch, aber immer für die Sache. Es ist so toll, dass sie zu zweit sind. Sie sind auch nicht immer der gleichen Meinung – dadurch wirft man immer wieder neue Sachen auf und gibt sich nicht so schnell zufrieden. Und das Tolle: Wenn ich eine Meinung habe, ist einer von den beiden immer auf meiner Seite. Dann kann ich das immer nutzen gegen den anderen (lacht).

Trailer "3 Tage in Quiberon"

Ihr habt zehn Nominierungen für den Deutschen Filmpreis – Charly Hübner und Robert Gwisdek konkurrieren um die beste Nebenrolle. Wie geht ihr damit um?

Wir sind wahnsinnig geschmückt durch die Nominierungen und waren so glücklich, als wir davon gehört haben. Wir waren alle überall in Europa verteilt und haben telefoniert und SMS geschrieben. Ich bin so glücklich, auch für meine Nebendarsteller. Für mich war das wirklich ein Quartett, alle drei um Romy Schneider haben ihre eigene Perspektive und ihre Entwicklung. Robert und Charly freuen sich und werden sich auch für den anderen freuen. Und es ist toll, weil wir dann während der Preisverleihung auch zusammen sind und feiern werden, was auch immer passiert. Auch wenn wir alle weinen, sind wir wenigstens zusammen und nicht alleine (lacht).

Charly Hübner ist am 12. April direkt mit zwei Filmen in den deutschen Kinos gestartet. Hast du seine Doku WILDES HERZ gesehen?

Noch nicht, aber ich möchte ihn wahnsinnig gern im Publikum sehen, am liebsten mit einem Gespräch am Ende. Als wir Quiberon gedreht haben, war Charly schon im Schnitt mit dem Film. Wildes Herz war ja sein Herzensprojekt. Ich glaube, er ist der Mann, der am meisten arbeitet in diesem Land. Es war hart, ihn für die Proben zu bekommen. Aber wenn er da ist, schafft er es, auch vollkommen da zu sein. Er kann dann alles hinter sich lassen – ohne die ganze Zeit am Telefon zu hängen oder schon ans nächste Projekt zu denken. Darum funktioniert das, das ist wirklich sein Talent.

Du wirst ja in diesem Jahr deinen ersten Tatort drehen. Was können wir nach Quiberon noch von dir erwarten?

Der Tatort wird meine erste schwarze Komödie, inspiriert vom Coen Brothers-Universum. Ich schreibe den mit Lars Hubrich, der auch das Drehbuch zu Tschick geschrieben hat. Mit ihm arbeite ich auch an meinem ersten französischen Film, den ich hoffentlich im Sommer 2019 drehen werde. Und dann gibt es auch wieder ein neues Projekt mit Karsten zusammen. Wir entwickeln meine erste Romanverfilmung – Daniela Kriens Irgendwann werden wir uns alles erzählen. Das ist eine ganz archaische Liebesgeschichte und spielt ein Jahr nach der Wende auf dem Land. Und aktuell lief Macht euch keine Sorgen im Fernsehen. Das ist ein krasses Thema und könnte nicht viel anders sein als Quiberon – außer in den Momenten, in denen es eine echte Ruhe gibt, auch wenn einem dabei die ganze Zeit das Herz klopft. Im Film geht es um Eltern, deren Sohn zum IS geht und niemand hilft ihnen. Man kann nichts machen. Außer warten und verrückt werden.

Credits: Rohfilm Factory / Prokino
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