Ein verrückter Roadtrip durch Marokko
12.05.2023 | "Déserts" Deutschlandpremiere beim Filmfest Hamburg
Der Film „Déserts" von Regisseur und Drehbuchautor Faouzi Bensaïdi feierte in diesem Jahr seine Premiere bei den internationalen Filmfestspielen von Cannes und ist jetzt beim Filmfest Hamburg zu sehen. Wir haben mit dem Filmemacher über den Dreh in Nordafrika und die Postproduktion in Hamburg gesprochen.
Warum die zwei Männer in der Lobby eines marokkanischen Hotels ihn so fasziniert haben, kann er gar nicht mehr genau sagen. Beide trugen einen Anzug und hatten jeweils einen kleinen Aktenkoffer dabei. Nichts Außergewöhnliches. Und doch war es für Faouzi Bensaïdi der Ausgangspunkt für seinen neuen Film „Déserts", der jetzt seine Uraufführung in Cannes in der Sektion „Quinzaine des Cinéastes" hat.
„Ideen für neue Geschichten starten bei mir oft mit ganz normalen Alltagssituationen und Dingen, die ich beobachte. Bei ‚Deserts' stellte ich mir vor, wie die zwei Männer aus der Lobby in ein Auto steigen und durch die Wüste fahren. Und diese zwei Männer nebeneinander im Auto – das war für mich bereits eine Kinoszene, die es dann tatsächlich so auch in den fertigen Film geschafft hat", sagt Bensaïdi. In den folgenden zwei Jahren sammelte der gebürtige Marokkaner weitere Ideen für die Geschichte, das Drehbuch schrieb sich dann am Ende fast von selbst. Im Kern geht es um die Freunde Mehdi und Hamid, die für einen Hungerlohn für ein Inkassounternehmen arbeiten. Die beiden fahren in ihrem alten Auto durch die Dörfer Südmarokkos und treffen eines Tages auf einen Mann, der mit Handschellen an den Gepäckträger eines Motorrads gefesselt ist – der Anfang einer unerwarteten Reise.
Die Dreharbeiten in Marokko
Eine Reise war es auch für die Filmcrew – denn „Déserts" wurde nicht nur in einem Ort, sondern quasi in ganz Marokko gedreht. Das Team durchstreifte das nordafrikanische Land einmal komplett von West nach Ost. Auf der Motivliste standen unter anderem Marrakesch, Casablanca, und diverse Wüstenabschnitte. Der Roadtrip aus dem Film wurde zum Roadtrip für die Crew: „Wir waren ein bisschen wie Mehdi und Hamid: Immer unterwegs mit unseren Autos. Während der Reisen haben wir natürlich weiter am Film gearbeitet und uns beispielsweise abends angeschaut, was wir am Tag zuvor gedreht haben. Als Team hat uns das extrem zusammengeschweißt", verrät der Regisseur.
Am Ende kam das Team mit rund 25 Stunden Filmmaterial zurück, an dem Faouzi Bensaïdi ein weiteres Jahr geschnitten hat: „Ich wusste schon vorher genau, wie alles aussehen soll. Aber man muss sich für diese Arbeit Zeit nehmen und alles gut durchdenken", sagt der Filmemacher. Durch die Auswahl bestimmter Kameralinsen erinnert „Déserts" an ältere Kinofilme, die noch auf Filmrolle gedreht wurden. Ein passender Look für die weiten Bildausschnitte, die Bensaïdi gemeinsam mit Kameramann Florian Berutti für sein Drama gewählt hat. Ein Film also, wie gemacht für die große Leinwand. „Der Raum um die Schauspieler*innen herum ist in jeder Einstellung ein eigener Hauptdarsteller. Wir haben im ganzen Film nicht mehr als drei Closeup-Einstellungen", sagt Kameramann Florian Berutti.
Die Deutschland-Connection
Faouzi Bensaïdi ist nicht nur Regisseur, Drehbuchautor und Editor, sondern auch Schauspieler. In den vergangenen Jahrzehnten hat der 56-Jährige in rund 15 Produktionen mitgespielt. Ein Umstand, der ihm bei den Dreharbeiten eigener Filme zugutekommt: „Ich weiß, wie Schauspieler*innen ticken – und ich arbeite mit meinem Ensemble schon seit meinem ersten Film zusammen. Diese Kontinuität hilft sehr beim Dreh. Man weiß, dass man sich aufeinander verlassen kann und ein gegenseitiges Verständnis da ist," so der Regisseur.
Verlassen konnte Bensaïdi sich auch auf seine deutsche Koproduzentin Nicole Gerhards, die mit ihrer Berliner Firma NiKo Film an dem Drama beteiligt ist: „Ich habe die französische Produzentin Sophie Penson kurz vor der Corona-Pandemie beim deutsch französischen RDV kennengelernt, wo sie mir das Projekt gepitcht hat – und dann sind wir direkt gemeinsam in die Finanzierung gegangen", so Produzentin Gerhards. Während der Dreh komplett in Marokko stattgefunden hat, wurde das Color Grading in der Hamburger Speicherstadt bei Harvest Digital Agriculture gemacht. „Ein tolles Team dort, wir sind sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Der Film erinnert vom Look her jetzt wirklich an einen Kinofilm aus alten Zeiten," sagt Bensaïdi.
Im Gegensatz zu vielen anderen Filmemacher*innen hat der Regisseur seinen Film komplett fertig gestellt, bevor er ihn nach Cannes schickte. Man bereue im Nachgang sonst immer noch, nicht das Beste für seinen Film herausgeholt zu haben. Doch jetzt konnte die Jury sich genau die Version anschauen, die die Zuschauer*innen später auch in Cannes sehen konnten. Das Publikum war begeistert – und wir sind uns sicher, dass es in Hamburg genau aussehen wird.