MOIN Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein

Mit ihrem ersten abendfüllenden Dokumentarfilm "Reproduktion" liefert die Hamburger Filmemacherin Katharina Pethke ein vielschichtiges und berührendes Generationenporträt, das die (Un)Vereinbarkeit von Mutterschaft und Arbeitswelt im Kunstsektor beleuchtet. Das von Fünferfilm aus Hamburg heraus produzierte Werk feiert seine Weltpremiere auf der Berlinale 2024 - und ist nun als Hamburger Premiere bei Filmfest Hamburg zu sehen.

Von Daniel Szewczyk

Für viele Menschen sin die Räumlichkeiten einer Universität bloßes Mittel zum Zweck. Hier trifft man sich, lauscht Vorlesungen, lernt, präsentiert und tauscht Gedanken aus. Bei der Filmemacherin Katharina Pethke ist das anders. Sie wurde 1979 dort geboren, wo wie später einmal selbst studieren und noch später auch lehren sollte. Ein Ort, an dem bereits ihre Mutter und Großmutter die Vorlesungssäle besuchten und der unmittelbar mit ihrem Leben verflochten ist: Die Hochschule für bildende Künste Hamburg (HFBK). In ihrem neuen Dokumentarfilm „Reproduktion“ entwirrt sie die Fäden ihrer Familiengeschichte vor den Augen der Zuschauer*innen – und auch für sich selbst.

Katharina Pethke und ihre Mutter beim Durchschauen von Zeichnungen
Katharina Pethke und ihre Mutter beim Durchschauen von Zeichnungen / Copyright aller Fotos: Fünferfilm

Dabei wird der persönliche Bezug erst im Laufe des Films wirklich sichtbar. Inhaltlich geht es Pethke um die übergreifenden Themen Mutterschaft, Emanzipation, Arbeitswelt und Selbstbestimmtheit, die sie eng mit der Geschichte der HFBK verknüpft. Sie nähert sich diesem Themenkomplex formal und  faktenbasiert und blickt dafür rund 100 Jahre in die Vergangenheit. „Der Initialmoment für den Film kam, als ich 2015 selbst Mutter wurde. Ich habe gemerkt, dass mit der Mutterschaft die Grenze der Privilegien und Gleichstellung erreicht ist. Mutter sein und arbeiten – das scheint in unserer Gesellschaft heute immer noch nicht richtig zusammen zu gehören“, sagt Pethke. Ein Konflikt, den ihre Großmutter Rosemarie Schramm im letzten Jahrhundert ebenfalls durchlebt hat, wenn auch ungleich härter. Sie schrieb sich 1946 an der Landeskunstschule Hamburg (heute HFBK) ein, musste jedoch durch Heirat und Geburt ihrer Kinder das Kunststudium nach vier Semestern beenden – und gab damit jegliche Hoffnung auf ein Berufsleben als Künstlerin auf. Ihr Alltag bestand aus „Essen kochen, abwaschen und einkaufen“, wie sie im Film selbst sagt. Durch zahlreiche alte Archivaufnahmen dokumentiert Pethke diese Jahrzehnte und hatte vor dem Tod ihrer Großmutter noch Zeit, mit ihr über das damals Erlebte zu sprechen. „Sie war da sehr pragmatisch und ‚hamburgerisch‘ in ihren Antworten. Es war für sie damals halt, wie es war“, sagt die Hamburger Filmemacherin.

Als zweites nimmt der Film Pethkes Mutter Maria in den Fokus, die sich in den 70ern komplett von ihrer Familie löst, in eine WG zieht und später selbstbestimmt ihre drei Töchter allein großzieht. In unzähligen Interviews sprechen Mutter und Tochter über damals und heute – auch im Film kommt Maria immer wieder zu Wort. Sie lernte an der Kunsthochschule Hamburg und wurde Kunstlehrerin, doch auch ihre Kunst blieb bei dem Alltag als Mutter auf der Strecke.

In der zweiten Hälfte des Films steht dann die Regisseurin, Drehbuchautorin und Erzählerin selbst im Zentrum und „Reproduktion“ bekommt nochmal eine deutlich persönlichere Note. Mit 21 beginnt sie, an der HFBK zu studieren, zieht jedoch kurze Zeit später nach Köln – und kommt erst zehn Jahre später für eine sechsjährige Professur zurück an die HFBK. Hiermit beginnt auf fast schicksalshafte Weise der dritte Zyklus der Familiengeschichte. Kurz bevor sie in ihren neuen Job an der HFBK startet, wechselt der Filmbereich in die ehemalige Geburtsklinik auf dem Campus – der Ort, an dem Katharina Pethke 1979 geboren wurde. Heute ist dort ein Kinosaal für die Studierenden. Da lehren, wo man geboren wurde, das können nur die wenigsten von sich behaupten. Und auch Pethke muss erfahren, dass der Beruf als Künstlerin auch heute noch nur schwer vereinbar scheint mit der Rolle als Mutter: "Beides ist mit so vielen Idealen besetzt, die jeweils überprüft werden sollten", sagt die Filmemacherin.

Neben den Lebensgeschichten von Großmutter, Mutter und Tochter, gibt es eine Protagonistin, die quasi über allem thront und immer wieder in elegischen Fahrten, in fast schon ehrfürchtigen Aufnahmen von der Kamera eingefangen wird: die HFBK selbst. „Für mich ist es schon so etwas wie ein heiliger Ort. Ein Refugium. Kunst ist in der Lage, neben der Politik, Gegenpositionen zur Gesellschaft zu entwerfen“, sagt Pethke. Und so dreht sich der Film auch um die mehr als 100-jährige Geschichte der Hamburger Kunsthochschule. Angefangen bei ihrem Bau durch Fritz Schumacher, der einst Hamburgs Oberbaudirektor war und unter anderem auch den Stadtpark, das UKE Eppendorf oder das Museum für Hamburgische Geschichte entwarf. „Fritz Schumacher hatte damals die Vision, wie eine Stadt auszusehen hat. Grün, freundlich und immer mit dem Blick für die Menschen. Kunst sollte alles miteinander verbinden. Er hatte einen fast soziologischen Blick auf die Stadtplanung und baute die Geburtsklinik neben die Kunsthochschule“, sagt Regisseurin Pethke. Ein Blick, der heute leider oftmals fehlt.

Der Eingang des Mediencampus' Finkenau mit Filmteam
Schienen-Set Up vor dem Mediencampus Finkenau: Mutter-Kind-Skulptur

Rund fünf Jahre hat Katharina Pethke an „Reproduktion“ gearbeitet. Die erste Klappe fiel im Jahr 2019, am letzten Tag ihrer Professur an der HFBK, an dem sie ein kleines Abschiedsfest auf dem Gelände feierte. Am 17. Februar, rund fünf Jahre später, hat ihr erster abendfüllender Dokumentarfilm seine Premiere im Forum der Berlinale 2024 gefeiert. „Das ist wirklich ein Geschenk!", sagt Pethke und lacht.

 „Wie in ihren früheren Arbeiten ist Katharinas Ansatz in ‚Reproduktion‘ nahezu einzigartig: einerseits radikal persönlich und intim, andererseits transportiert sie ein Thema von universeller Relevanz mit höchst analytischer Präzision. Hier entstehen Erfahrungswelten, die sichtbar machen, was die ganze Zeit da war und trotzdem übersehen wurde“, sagt Produzentin Julia Cöllen von der Hamburger Produktionsfirma Fünferfilm. Der Film ist nach „Jedermann und ich“ die bereits zweite Zusammenarbeit zwischen Pethke und Fünferfilm – und bestimmt nicht die letzte.

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