
Ein bisschen wie Seattle
18.05.2017 | Im Gespräch mit Fatih Akin
Mit dem NSU-Thriller Aus dem Nichts hat Fatih Akin gerade den Golden Globe 2018 für den besten fremdsprachigen Film nach Hamburg geholt und ist für Deutschland weiterhin im Rennen um die Oscars 2018. Wir haben mit dem Hamburger Kultregisseur über die Dreharbeiten in Hamburg, Hauptdarstellerin Diane Krüger und anstehende Horror-Projekte gesprochen.
- In Aus dem Nichts steht eine junge Frau im Mittelpunkt, die nach dem Tod von Sohn und Mann Rache üben will. Gleichzeitig dienten die NSU-Terroranschläge als Vorlage für deinen Film. Was hat dich an dem Stoff am meisten gereizt?
Es gibt bei mir immer eine Initialzündung für eine Filmidee. Bei Aus dem Nichts waren die Morde der NSU der Motor, mich hinzusetzen und diesen Stoff zu schreiben. Ich weiß erstmal nur: Ich will irgendwas machen, um zu zeigen, dass mir das mit den Nazis in diesem Land nicht passt. Und während ich so schreibe, poppen andere Layer, andere Ebenen auf, die man bei der ersten Motivation gar nicht in Betracht gezogen hat. Man denkt sich eine Figur aus – in diesem Fall war es eine Mutter – und beginnt damit, Mütter zu beobachten. So entstehen nach und nach weitere Ebenen, wie eine Zwiebel, die man langsam aufdeckt.
Die Ebenen, die mir näher sind oder Sachen, auf die ich total neugierig bin, die machen den Film persönlich. Ich versuche bei eigenen Stoffen, die Geschichte so zu erzählen, wie ich sie am besten kenne. Die Welt, in der sie spielt, die Figuren, die darin auftauchen, die Gefühle, die sie durchleben. Der letzte Weg ist meistens der, den ich am besten kenne, der biografischste, wenn du so willst.
Es gibt aber natürlich auch Filme, in denen ich mehr experimentiere. The Cut war zum Beispiel ein Experiment. Vielleicht ein bisschen fahrlässig, weil es so teuer war, aber es ist mehr ein experimenteller Film als Aus dem Nichts. Auch die Dokumentarfilme sind eher experimentell. Das sind Sachen wo ich denke: Ich mache es jetzt einfach mal, wie ich es am besten weiß.
- Für viele deiner Fans ist Diane Kruger als Hauptdarstellerin bestimmt eine überraschende Wahl. Was macht sie aus deiner Sicht zur perfekten Besetzung für deinen aktuellen Film?
Ich besetze überhaupt gerne ungewöhnlich und aufregend. Menschen mit spannenden Gesichtern und Biografien, die eine gewisse Urkraft haben. Das schwappt in den Film über und davon lebt der Film. Es gab natürlich immer auch so Leute wie Moritz [Bleibtreu] oder Lukas [Gregorowicz]. Aber diese "Adams" [Adam Bousdoukos], die sind neu. Ich will nicht nur das "who is who" der Gala abrufen. Diane Kruger ist zwar ein Gala-Star, aber eben nicht in Deutschland. Obwohl sie aus Niedersachsen ist, kennt man ihre Arbeit hier nicht gut. Man hat ein falsches Bild von ihr.
Trailer - Aus dem Nichts

- Und korrigierst du das jetzt?
Nein, ich ergänze es.
- Konntest du Diane Kruger während der Dreharbeiten ein wenig von deiner Stadt zeigen? Welche Orte, Clubs und Bars habt ihr besucht?
Ein bisschen. Wir hatten nicht wahnsinnig viel Zeit und die Dreharbeiten waren auch echt anstrengend. Wenn Wochenende war, dachte man nicht mehr ans Ausgehen, nur noch an Schlafen und Chillen und Spa und so (lacht). Wenn wir ausgegangen sind, dann immer klassisch auf dem Kiez. Als Diane in Hamburg ankam, ist sie vom Flughafen direkt zum Hamburger Berg gekommen, wo wir ja auch gedreht haben. An diesem Abend waren wir im Roschinskys, in der HongKong-Bar, im Chug Club... Und dann waren wir noch einmal im Freudenhaus essen und natürlich im Cuneo.
Diane hat gesagt, sie findet Hamburg besser als Berlin. Es sei ihr viel näher und das verstehe ich gut. Wenn ich in Amerika Filme machen würde, würde ich auch nicht in Los Angeles leben – und Berlin ist ein bisschen wie Los Angeles, die ganze Industrie ist da, jeder Kellner dort ist Schauspieler. Wenn ich in Amerika wäre, würde ich in Seattle wohnen. Ich finde Hamburg ist ein bisschen wie Seattle.
Soul Kitchen (1.312.490)
Gegen die Wand (777.400)
Tschick (762.712)
Im Juli (586.327)
Solino (580.647)
Auf der anderen Seite (517.873)
Crossing the Bridge (103.066)
The Cut (86.513)
- Du hast ja bereits so einige Hamburg-Filme gedreht. Wie findest du immer noch spannende Drehorte, die zu deinen Geschichten passen?
Ich finde nicht, dass Aus dem Nichts ein Hamburg-Film ist. Der hat nicht so ein Lokalkolorit mit Schwenk über die Köhlbrandbrücke und spielt sowieso wenig außen. Wegen der Naziproblematik wollten Hark Bohm, der das Buch mit mir geschrieben hat, und ich das Ganze sogar im Ruhrgebiet, in Hagen drehen. Dann dachte ich aber: In Hagen würde ich mich voll anstrengen, Hagen abzubilden und wäre von dem, worum es im Film wirklich geht, abgekommen. Es geht um die Essenz, das Innenleben der Figuren, nicht um die Fassaden.
Hamburg ist für mich einfach praktisch. Ich kenne mich hier wirklich gut aus und weiß, wo ich meine Drehorte finde und habe hervorragende Locationscouts, "Metrosafari" heißen die. Die sind echt gut und kennen die Stadt nochmal 50 Mal besser als ich. Und ich habe in Hamburg auch so kurze Wege, kann mit dem Rad zum Set fahren oder zu Fuß gehen. Meine ganze Crew ist von hier, meine Kinder sind hier. So wird der Dreh nicht zu so einer Ausnahmesituation. Wenn man hier dreht, hat man noch so ein Rest soziale Normalität.

- Ist Hamburg für dich eine filmfreundliche Stadt? Hast du das Gefühl, dass du hier Entgegenkommen und Unterstützung von den Hamburgern und der Stadt bekommst?
Das kommt immer darauf an, wer wann wo dreht. Wir haben für Aus dem Nichts drei Wochen lang einen ganzen Block in der Hein-Hoyer-Straße lahmgelegt. Und ich muss sagen, da waren die Ladenbesitzer total umgänglich und freundlich und keine Abzocker. Die größten Abzocker sind sowieso die, die selber beim Film sind (alle lachen). Das könnt ihr ruhig mal da reinschreiben! (alle lachen lauter).
- Wir haben munkeln gehört, dass es dich für deinen nächsten Film eventuell wieder an den Hamburger Berg zieht – in den "Goldenen Handschuh". Kannst du uns schon mehr erzählen?
Ich habe die Rechte am Goldenen Handschuh gekauft und will den Film machen. Und ich habe auch eine recht klare Vision von dem Film. Das wird auf jeden Fall so ein Hardcore-Slasher-Film, aber schon auch komödiantisch. Ich find's lustig. Horror geht immer gut mit Comedy. Und das bietet sich bei dem Stoff so an.
Ich bin jetzt 43 und würde schon gerne nochmal wissen wollen, was die Welt mir noch zu bieten hat. Oder bevor sich das Kino komplett verändert. Ich würde mich gerne noch weiter ausprobieren. Es muss nicht Hollywood sein, ich kann auch nach Bollywood gehen. Da kann man wahnsinnig viel Geld verdienen, da gibt es keine FFA-Richtlinien (alle lachen).
Ich könnt mir auch sowas wie Tschick noch einmal vorstellen. Ein Projekt, das nicht so federführend von mir ist, sondern ich das nur als Regisseur oder kleine Koproduktion mache. Natürlich mache ich auch nicht jeden Stoff, der einigermaßen okay ist. Wenn ich mich schon entscheide, was zu machen, dann muss ich dahinterstehen. Das sind schließlich zwei Jahre meines Lebens. Irgendwann bin ich tot, aber der Film ist noch da.
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