
Storytelling in Serie
23.08.2018 | Am Anfang war das Drehbuch

Zwei erfahrene Script-Doktoren, 20 renommierte europäische Produzenten-Autoren-Teams – und nur eine Frage: Wie kann ein gutes Seriendrehbuch noch besser werden? Die Antwort gab es beim Series Lab 2017 in der Hamburger HafenCity. Die aktuelle Ausgabe findet im Dezember 2018 in Brüssel statt.
»Okay, und jetzt versuch noch mal den gesamten Inhalt in einer einzigen Log Line zu beschreiben«. John Yorke lässt nicht locker. Der Drehbuchautor ist noch nicht zufrieden mit der Inhaltsangabe seines Gegenübers. Zu komplex, zu vertrackt. Yorke öffnet das Gespräch und fragt in die Runde: »Warum würdet ihr euch die Serie anschauen, was macht die Story für euch interessant?« Jetzt spielt die Workshop-Gruppe sich die Bälle zu und man kommt dem Kern der Serie Stück für Stück näher. John Yorke ist einer der zwei Script Doctors, die beim Series Lab Hamburg 2017 mit 20 Produzenten-Autoren-Teams an ihren Serienstoffen gearbeitet haben. Insgesamt acht Hamburger Produktionsfirmen und zwölf aus dem europäischen Ausland sind gemeinsam mit ihrer Autorenschaft für das Lab in die Hamburger HafenCity gekommen. Neben deutschen Produktionsfirmen wie Tamtam, Red Balloon oder The StoryBay sind aus dem Ausland unter anderem Monster Scripted (Norwegen), Filmlance (Schweden) oder auch Zodiak Belgium angereist. Die Inhalte und Formate der Serien sind dabei so unterschiedlich wie die Länder, aus denen ihre Produzentinnen und Produzenten kommen. Vom Coming-of-Age-Drama in einer Schule für Leistungssport über historische Mittelalterstoffe bis hin zu einem deutschen Politiker, der tot in einer dänischen Sauna aufgefunden wird, reichen die Stoffe, die an zwei Tagen im Oktober präsentiert wurden. Veranstaltet wurde das Series Lab zum zweiten Mal von Creative Europe Desk Hamburg, Letterbox Filmproduktion und der FFHSH.

Mit John Yorke und Nikolaj Scherfig waren zwei international erfahrene Drehbuchautoren vor Ort, die den Teilnehmenden in kleinen Workshops wertvolle Tipps mit an die Hand gaben. Yorke konnte 2016 für Wolf Hall den Golden Globe für die beste Miniserie mit nach Hause nehmen. Nikolaj Scherfig sorgte mit der Serie The Bridge international für Aufsehen. Yorke und Scherfig sind also genau die richtigen Coaches, wenn es darum geht, ein gutes Drehbuch oder ein interessantes Konzept noch ein klein bisschen besser zu machen. Nachdem der erste Tag mit einem morgendlichen Pitch startete, bei dem alle 20 Autorinnen und Autoren ihr Projekt kurz der Gruppe vorstellten, ging es im Anschluss in kleinen Workshops weiter. »Die Grundlagen des Storytellings haben sich eigentlich seit Jahrhunderten nicht geändert – was sich verändert hat, ist die Art des Konsumierens«, verrät Yorke. »Vor langer Zeit ging es um Theater in fünf Akten, daraus wurde dann irgendwann Theater in drei Akten, dann kamen gedruckte Bücher, Kino, Radio und Fernsehen hinzu. Aber eine Geschichte ist eine Geschichte ist eine Geschichte.« Und so verwundert es kaum, dass ein besonderes Augenmerk auf Plot, Figurenkonstellationen und die zentralen Motive der Projekte gelegt wurde. Jeder Serie widmete sich einer der Script Doctors rund zwei Stunden. Keine Zeit, um tief greifende Änderungen vorzunehmen, aber genug Zeit, um an einigen Stellschrauben zu drehen: »In zwei der Projekte konnte ich zum Beispiel recht schnell sehen, dass die Episoden zu kurz sind. Das ist ein klassisches Dilemma, besonders für die junge Autorenschaft. Sie hat meistens noch nicht viel Erfahrung in Sachen TV-Serien. Hier braucht man viel mehr Szenen, mehr Wendungen in der Handlung, es muss einfach mehr passieren«, sagt Scherfig. Wer bisher nur Kinofilme gedreht hat, muss sich daran erst gewöhnen.

Im Laufe der zwei Tage arbeiteten sich die beiden Script Doctors in unterschiedlichen Workshopräumen Stück für Stück durch die europäische Serienlandschaft. Bei den Beteiligten kam das Format sehr gut an: »Das Series Lab bot eine inspirierende, tief gehende Analyse unseres Projekts, kombiniert mit konzentrierten One-on-one-Meetings«, so der niederländische Produzent Idse Grotenhuis von Topkapi Films. »Es war toll, neue Perspektiven auf die Entwicklung unserer Geschichte zu bekommen.«
Autor Lennard Eberlein war mit 23 Jahren der jüngste Teilnehmer des Series Lab und ist gemeinsam mit seiner Produzentin Andrea Schütte von Tamtam Film angereist. Da seine Serie in Dänemark spielt, waren die Tipps von Nikolaj Scherfig gleich in zweierlei Hinsicht wertvoll: Es gab sowohl Hinweise zur Dramaturgie als auch zu den lokalen Besonderheiten in Dänemark. »Unabhängig vom direkten Feedback zu unserem Projekt ist es für mich besonders spannend, mich hier so unmittelbar mit der Branche – anderen Autor*innen Produzent*innen und Redakteur*innen – austauschen zu können und sehr präzise Infos über deren Ideen und Strategien zu bekommen. Man kann den Fokus jetzt noch besser setzen und weiß, an welchen Stellen man gezielt weiterarbeiten muss«, sagt Eberlein.
Und welche Tipps würde der dänische Drehbuchautor Scherfig jungen Nachwuchsschreiberinnen und -schreibern generell mit auf den Weg geben? »Schreib immer über etwas, wo du dich auskennst oder das du schon selbst erlebt hast. Und wenn du jung bist, schreibst du über dich, deine Freunde und die Dinge, die um dich herum passieren. Versuch nicht zu kopieren, was andere schon gemacht haben«, sagt Scherfig. Laut John Yorke sollte man außerdem selbst viele Serien schauen: »Du musst wissen, welche Serien es gibt, um zu sehen, was funktioniert und was nicht. Ich habe beispielsweise damals die Serie Eldorado geschaut, die wirklich nicht sehr gut ist. Es gab ein Jahr lang jede Woche drei Episoden – und ich habe sie alle gesehen. Auf diese Weise wusste ich recht schnell, was nicht funktioniert. Manchmal lernt man von schlechten Serien mehr als von guten und wiederholt die Fehler nicht, die ein anderer schon gemacht hat.« Ein guter Rat also von jemandem, der es wissen muss.

Es lohnt sich aber natürlich auch, bei den großen US-Produktionen zu schauen, welche Formate erfolgreich sind. Doch welche Serien haben die beiden Script Doctors in den letzten Jahren besonders beeindruckt? »In England gibt es eine tolle Serie namens Happy Valley, die von einer Polizistin in einem kleinen Städtchen handelt. Meine Lieblingsserie aus den letzten Jahren ist jedoch The Americans, die während des Kalten Krieges spielt und zwei sowjetische Spione in den Fokus rückt, die gleichzeitig ein Ehepaar sind. Wirklich toll geschrieben«, sagt Yorke. Und wie schaut es mit dem extrem erfolgreichen Game of Thrones aus? »Oh, ich liebe Game of Thrones. Ich denke, die Serie hat vieles verändert. Niemand hat vorher TV-Serien auf dem Level gedreht. Das Budget ist riesig und wird immer größer und größer. Es ist so unterhaltend und populär, dass viele Leute vergessen, dass es auch einfach eine extrem gut geschriebene Serie mit tollen Darstellerinnen und Darstellern ist«, so der Brite. Für Scherfig sind einige der stärksten Serien der letzten Jahre Mad Men, House of Cards, Mr. Robot und Breaking Bad. Aber auch der deutsche Dreiteiler Unsere Mütter, unsere Väter hat ihn beeindruckt.
Doch selbst die beste Serie mit dem stärksten Storytelling nützt wenig, wenn kein Geld da ist, um sie zu produzieren. Und so wurde im Rahmen des Series Lab ein Speeddating veranstaltet, an dem 22 potenzielle Finanziers aus Sendern, Weltvertrieben und Filmförderungen teilnahmen. Hierzu zählten unter anderem Sky Deutschland und ZDF Enterprises, deren Engagement im Bereich Serie besonders groß ist, wie etwa die Produktionen Babylon Berlin beziehungsweise Maltese jüngst gezeigt haben. Ein Zusammentreffen, das in diesem Rahmen in Europa einzigartig sein dürfte.

Darüber hinaus gab es vom Norddeutschen Rundfunk eine Finanzspritze für das beste europäische Serienkonzept. Der mit 7.500 Euro dotierte Albatross-Preis wurde beim Series Lab von der internationalen Jury, bestehend aus Maria Furtwängler (NDR-Tatort-Kommissarin), Nikolaj Scherfig sowie Christian Granderath (NDR), vergeben und ging an die belgisch-deutsche Serie GR5 von Produzent Serge Bierset (Zodiak Belgium) und der Hamburger Koproduzentin Dorothe Beinemeier (Red Balloon Film). »Wir haben in diesem Stadium bereits so viel positives Feedback bekommen, das uns darin bestärkt, dieses europäische Projekt gemeinsam auf die Beine zu stellen«, sagt Dorothe Beinemeier. »Dieser Preis ist eine wunderbare Bestätigung für unser Vorhaben.« Auch wenn Serien „made in Europe" momentan im weltweiten Vergleich noch etwas hinterherhinken, stehen uns in den nächsten Jahren ein paar Serienhighlights ins Haus, die den internationalen Vergleich nicht zu scheuen brauchen und vielleicht andere Filmschaffende motivieren nachzuziehen. Beim Series Lab 2017 war bereits sehr viel Potenzial zu sehen – dieses gilt es jetzt auszuschöpfen.
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