Kleider machen Filme
30.09.2022 | Kostümbild "War Sailor"
Für „Lore" war Stefanie Bieker für den deutschen und den dänischen Filmpreis für das beste Kostümbild nominiert, für „Land of Mine" erhielt sie den europäischen Filmpreis für das Kostümdesign – jetzt ist Biekers Arbeit in Gunnar Vikenes neuem Film „War Sailor" zu sehen, der seine Deutschlandpremiere beim Filmfest Hamburg feierte und seit dem 9. Februar in den deutschen Kinos läuft.
Wenn die Zuschauer*innen im Kinosaal den Seeleuten bei ihrem Überlebenskampf zwischen Deutschen und Alliierten zusehen, dann wird die Kleidung der Schauspieler*innen für die meisten nicht besonders hervorstechen. Sie wird einfach im wahrsten Sinne des Wortes passend sein. Sich homogen ins Gesamtbild einfügen. Wieviel akribische Detailarbeit, Handwerkskunst und Recherche sich hinter einem stimmigen Kostümbild verbirgt, lässt sich für viele nur erahnen. Für „War Sailor" haben das Kostümdepartment und Kostümbildnerin Stefanie Bieker bereits einige Monate vor Drehbeginn mit der Recherche und den Vorbereitungen begonnen: „Originale Arbeitskleidung der Maschinisten, Techniker, Offiziere und Matrosen wurde selten aufbewahrt, außerdem hatten die Menschen andere Figuren als heute", sagt Stefanie Bieker. Durch den Einsatz originaler Materialien und Schnitte das Design der 40er Jahre aufleben zu lassen - und die Bekleidung für alle Wetterlagen und Ansprüche gleichzeitig auch funktionstauglich zu gestalten - das war die Aufgabe bei „War Sailor".
Zur Inspiration sind für Bieker Recherchereisen an die späteren Drehorte hilfreich. Um nicht nur die Kleidung vor Ort unter die Lupe zu nehmen, sondern gesamte Landschaften, deren Farbigkeit und Eigenheiten. „Für War Sailor habe ich Recherchematerialien in Museen und Familienalben wie Fotos und Abbildungen und originale Strickmustern der Regionen gesammelt und mich sehr an der besonderen Farbigkeit der Natur Norwegens, besonders im Wandel des Tageslichtes orientiert ", sagt Stefanie Bieker. So wurden die meist angefertigten Hemden und Hosen für die Matrosen größtenteils in besonderen Grau- und Blautönen gefärbt, die Overalls und Arbeitskombis für die Gruppe der Maschinisten in Braun- und Erdtönen. Dafür war das früher häufig für Arbeitskleidung benutze Material „Deutschleder" mit samtiger und gleichzeig fester Oberfläche ideal. Um den neu angefertigten Kostümen die geplante Farbigkeit und alle nötigen Gebrauchsspuren und damit Leben einzuhauchen, braucht es besondere Spezialisten, wie die Hamburger Textil Artisten Constanze Schuster und Stefan Heinrichs.
„Auch um die langen Perioden auf hoher See durch die Kostüme zu erzählen, wurden bis zu fünf verschiedenen Varianten eines Kleidungsstücks hergestellt. Die Kleidung wird im Verlauf des Films dreckiger, es bilden sich Salzkrusten, Sonne, Regen und Wind bleichen das Material aus, die Figuren nehmen durch die Strapazen der langen Reise ab. Um diesen Prozess zu simulieren, wurden viele Kostüme in verschiedenen Größen hergestellt", sagt Stefanie Bieker. Viel Arbeit, bei der sie von einem Team von Kostümschneidern und Gewandmeister*innen supportet wird.
Wie detailliert ihre Arbeit am Ende zu sehen sein wird, hängt sehr mit der Kameraführung zusammen. Weit vor Drehbeginn fanden Gespräche mit Regisseur und Drehbuchautor Gunnar Vikene statt. „Nachdem ich von Gunnar erfuhr, dass Sturla Brandth Grøvlen die Kameraarbeit übernehmen würde, wusste ich, dass jedes Detail im Film erzählt wird. Sturla arbeitet viel mit Handkamera und geht dementsprechend sehr dicht an die Darsteller*innen heran, so dass Details wie etwa Knöpfe, Schuhe, Krägen und Oberflächen sehr sichtbar werden. Dieses detailreiche Arbeiten ist nur mit einem wunderbaren Team und der Hand in Hand einhergehender Begeisterung aller Beteiligten zu bewältigen. Und dafür braucht es vor allem Zeit für eine fundierte Recherche und zur gemeinsamen Vorbereitung und guter Zusammenarbeit mit Regie, Kamera, Szenenbild und Maskenbild."
Auch wenn der Film, der neben Mer Film auch von den beiden deutschen Produktionsfirmen Rohfilm Factory (Berlin) und Letterbox (Hamburg) koproduziert wurde, mehrere Drehtage in Hamburg und Lübeck hatte, fand der Drehbeginn vor dem Norwegenpart auf Malta statt. Hier bauten Stefanie Bieker und ihr Team zwei Wochen vor Drehbeginn ihre Kostümwerkstätten auf, um zwischen Drehvorbereitung und Maskenproben auch Kostümanproben durchzuführen, mit den zuvor in Hamburg und Berlin entstandenen Anfertigungen. Eigentlich hätten die Anproben schon eher stattgefunden, Corona und die Einreisebeschränkungen Norwegens machten dem Team jedoch einen Strich durch die Rechnung.
Klingt alles ganz schön spannend – doch wie wird man eigentlich Kostümbildner*in? „Es gibt viele Autodidakten. Ich habe meinen Weg über die Arbeit am Theater gefunden, ich bin ausgebildete Theaterschneiderin", sagt Stefanie Bieker. Nach der Ausbildung hat sie in Hamburg an der HAW die weiterführende Fachausbildung zur Gewandmeisterin gemacht und ist so zur Kostümbildnerin geworden. „Studiengänge mit der Spezialisierung Filmkostümbild gibt es in Deutschland in Berlin und Hamburg. In den Bereichen der handwerklich-technischen Filmberufe fehlt es sehr an Nachwuchs, spezielle Aus- und Weiterbildungen gibt es leider in Deutschland für die gesuchten Spezialisten*innen bisher nicht." Und auch das Thema Nachhaltigkeit nimmt immer mehr Raum ein in ihrem Beruf: „Es gibt ein großes Umdenken mittlerweile. Wir arbeiten immer mehr mit Green Consultants zusammen. Wo kommen unsere Materialien her, was können wir nutzen und was kann am Ende wieder in den Kreislauf gegeben werden? Alles Fragen, die wir uns vor Beginn einer Produktion stellen", so die Kostümbildnerin.
Bieker selbst ist privat schon lange nachhaltig unterwegs, kauft viel Secondhand oder schneidert ihre Kleidung als Patchwork selbst. Die Leidenschaft, die sie in ihrer Arbeit zeigt, findet sich also auch im privaten Kleidungsstil wieder. Beides wird man mit Sicherheit bei der Deutschlandpremiere von War Sailor am 2. Oktober beim Filmfest Hamburg bewundern können.