VR-Projekt aus Hamburg bei Venice Immersive
08.08.2024 | "Below Deck"
Mit „Below Deck“ werfen die beiden Hamburger Filmemacher*innen Martin Prinoth und Martina Mahlknecht einen Blick in die Welt luxuriöser Kreuzfahrtschiffe – genauer gesagt unter Deck. In einer immersiven 360 Grad-Experience folgen die Zuschauer*innen einer fünfköpfigen Crew philippinischer Niedriglohnarbeiter*innen bei ihren Erinnerungen an Geschichten aus dem Bordalltag. Ende August feiert das Projekt seine Weltpremiere auf der 81. Venedig Biennale in der Sektion Venice Immersive.
„Man ist irgendwo dabei, wo man eigentlich nicht dabei sein sollte. Eine etwas ‚lynchsche‘ Atmosphäre“, antwortet Martin Prinoth auf die Frage, wie sich „Below Deck“ für Menschen unter der VR-Brille anfühlt. Eine Erfahrung, bei der die Zuschauer*innen sich den Raum Stück für Stück selbst erschließen und in die Lebens- und Arbeitsrealität auf höher See abtauchen. Man sitzt nicht, sondern bewegt sich mit seiner VR-Brille umher, lauscht Geschichten der philippinischen Crew und ist unsichtbarer Gast bei einem Crew-Evening unter Deck. Über allem schwebt die Stimme eines Erzählers aus dem Off. „Uns war sehr schnell klar, dass wir das Projekt in VR umsetzen wollen. Nur so können die Zuschauer*innen ganz in unsere Geschichte eintauchen. Ein Hybrid aus dokumentarischer und fiktionaler Form“, ergänzt Martina Mahlknecht. Ein aufwändiges Unterfangen, dessen Anfänge bis in das Jahr 2020 zurückreichen.
Bereits im Pandemiejahr wollten Prinoth und Mahlknecht, die unter dem Namen „TÒSU Film“ ihre Projekte umsetzen, den Luxuskreuzfahrtsektor näher beleuchten. „Upper Deck und Lower Deck. Man sieht das globale System wie unter einem Brennglas. Das hat uns an dem Thema gereizt“, verrät Martina Mahlknecht. Doch als die Welt während Corona zum Erliegen kam, war es unmöglich, eine Schiffscrew zu finden und mit Leuten ins Gespräch zu kommen. Es tat sich jedoch eine andere Möglichkeit auf: „Bei unserer Recherche sind wir Menschen aus dem Pazifik-Staat Kiribati begegnet, die mit ihren Containerschiffen in Hamburg gestrandet waren. Sie konnten aufgrund aktueller Coronaregeln nicht zurück nach Hause und wurden von der Seemannsmission betreut – sie saßen rund zwei Jahre in Hamburg fest“, so Mahlknecht. Die beiden Filmemacher*innen nahmen Kontakt mit den Seeleuten auf – und es entstand die XR-Installation „Overseas“.
Nach dem Projekt, bei dem die Zuschauer*innen den Seeleuten in einem gefluteten Becken bei Gesprächen zuhören, widmeten Prinoth und Mahlknecht sich erneut dem Thema „Luxusschifffahrt“. Da weltweit rund ein Drittel aller Kabinencrews auf den Philippinen rekrutiert werden, wollte das Duo hier ansetzen: „Wir wussten, dass es in Hamburg eine große philippinische Community gibt. Es war jedoch nicht einfach, junge Menschen zu finden, denn heute ist es deutlich schwerer als damals, in einem fremden Land von Deck zu gehen. Irgendwann lernten wir in Hamburg Manolet Castillo kennen, der zwölf Jahre auf Kreuzfahrtschiffen unter Deck gearbeitet hat. Ein echter Glücksfall für uns. Durch ihn fanden wir dann noch vier weitere philippinische Crewmitglieder für unser Projekt“, sagt Prinoth. Die Gespräche mit der Crew über Träume, Ängste, Arbeit und Ausbeutung dienten als Grundlage für das Drehbuch zu „Below Deck“. In der VR Experience spielen die Crewmitglieder sich selbst.
Martin Prinoth kommt aus dem Bereich Dokumentarfilm, Martina Mahlknecht aus dem Bereich Bühnenbild. Woher kam also das Wissen um das komplexe Feld Virtual Reality, Mixed Reality und Extended Reality? Bereits im vergangenen Jahr stellte das Duo sein Projekt beim Venice Gap Financing Market im Rahmen der Filmfestspiele von Venedig vor und nahm am zweiwöchigen Biennale College Cinema VR teil. Hier gab es geballtes Know How zum aktuellsten Stand der Technik und der Frage, was sich womit am besten umsetzen lässt. „Wir haben hier viele Kontakte geknüpft und ein Netzwerk aufgebaut, das war unglaublich wichtig für uns. Und auch bei der Technik haben wir einen sehr guten Überblick bekommen“, so Prinoth. Am Ende habe man sich für die Meta Quest 3-Brille entschieden, mit der kein zusätzliche angeschlossener Computer mehr nötig ist. „Es ist Wahnsinn, wie stark die reale und virtuelle Welt mittlerweile verschmelzen. Im Vergleich zur Meta Quest 2 gab es einen erneuten Quantensprung. Die Kameras, das Scanning, der Sound – alles ist nochmal deutlich besser geworden“, ergänzt Prinoth. Finanziellen Support gab es durch das Wim Wenders Stipendium der Film- und Medienstiftung NRW sowie die MOIN Filmförderung.
In drei Monaten wurde das Projekt mit der Unreal-Engine von einem XR Developer programmiert. Die Herausforderung: Es gibt kaum Referenzen, an denen man sich orientieren kann. „Es war nicht leicht für uns zu beschreiben, wie wir uns eine Szene vorstellen. Bei einem Film hat man direkt eine entsprechende Szene aus der Filmgeschichte parat, bei VR gibt es bisher kaum Referenzen“, sagt Prinoth. Doch das Filmemacher*innen-Duo arbeitete sich Stück für Stück in die Materie ein. Am Ende ist eine beeindruckende, rund 23-minütige Experience entstanden, die bei Venice Immersive jetzt zum ersten Mal das Licht der Welt erblicken wird. Hier werden mehr als 60 Arbeiten aus dem immersiven Bereich gezeigt, für die man sich jeweils Timeslots buchen kann.
Nach der intensiven VR-Zeit möchte sich das Duo, das vor 17 Jahren aus Südtirol nach Hamburg kam, wieder seinen Wurzeln widmen. Ein Dokumentarfilm in Norddeutschland ist bereits in Planung. Ob an Land oder auf hoher See – ganz egal. Wir sind gespannt, wo TÒSU Film das Brennglas als nächstes ansetzt.