Mit jeder Faser
25.07.2017 | Ausgezeichnete Kostümdesignerin

Roter Teppich, Blitzlichtgewitter: Eigentlich überlässt Stefanie Bieker beides lieber den Schauspielerinnen und Schauspielern, für die sie Kostüme entwirft und auswählt. 2016 stand sie selbst auf der Bühne und wurde mit dem Europäischen Filmpreis für das beste Kostümdesign im Film Unter dem Sand ausgezeichnet. Im Interview mit uns spricht sie über ihre Arbeit, Inspirationsquellen und künstlerische Freiheit.
- Bei wem haben Sie sich als Erstes bedankt?
Als aller Erstes bei meinem Team. Meine 14 Kolleginnen und Kollegen haben wirklich Großartiges geleistet. Wir hatten eine anstrengende Zeit, es gab sowohl in Dänemark als auch in Schleswig-Holstein Unwetter mit Regen und Sturm. Der Drehort am Strand konnte nicht direkt angefahren werden so dass wir die schweren Kostüme und unser Equipment zum Drehort tragen mussten. Jedes Kostüm für unsere Hauptdarsteller, das waren zum Teil kostbare Originaluniformen, hatten wir nur in einfacher Ausführung dabei. Die Sachen mussten immer wieder getrocknet werden, zum Beispiel in den Saunen der umliegenden Ferienhäuser oder in einer nahe gelegenen Teppichreinigung. Wir haben uns wirklich einiges einfallen lassen und wurden dabei immer von der Produktion unterstützt. Malte Grunert von Amusement Park Films hat mir von Anfang an vertraut und mir den Rücken frei gehalten. Ich habe auch ihm sehr viel zu verdanken.
- Wie und wo haben Sie die Uniformen gefunden?
Wir haben sehr genau recherchiert. Nach dem Krieg gab es kaum einheitlichen Uniformen, es war ein Sammelsurium von Uniformfragmenten. Das mussten wir berücksichtigen. Bei der Recherche wurde ich von der Hamburger Bibliothekarin Andrea Joosten sehr unterstützt, die sich auf Kostüme aus den 30er und 40er Jahren spezialisiert hat. Außerdem habe ich über mehrere Ecken im Panzermuseum im dänischen Oksbøl mit Unterstützung von Kaj Jensen vor Ort original »british battledress« aus der Zeit gefunden. Ein unglaublicher Glücksfall. Um genügend Komparsen zu finden, haben wir einen Aufruf gestartet. Nicht ganz ohne Sorge, dass wir es vielleicht mit der rechten Szene zu tun bekommen könnten. Das hat sich glücklicherweise nicht bestätigt. Es haben sich bei uns auch einige Gruppen Reenactors gemeldet, das sind Leute, die historische Gefechte und Schlachten nachspielen und Uniformen zu Hause haben. Wir waren teilweise jedoch sehr überrascht, als sie mit ihren ordenbehangenen Ausgehuniformen bei uns auftauchten, und auch sehr erstaunt über das Geschichtsverständnis dieser Leute und was Uniformen mit Menschen machen können.
- Wie haben Sie sich den Figuren genähert?
Wir tauchen in die Geschichte ein und hatten Vorbesprechungen mit dem Regisseur und den anderen Gewerken. Wir reden über die Biografien und versuchen, uns dem Charakter der Figuren anzunähern. Welche Vorgeschichte gibt es, was zeichnet die jeweilige Person aus? Auch wenn das Hauptkleidungsstück in Unter dem Sand die Uniform ist, so haben wir doch jedem der Jungs eine eigene Biografie gegeben und so konnten wir aus den vorgeschriebenen Uniformbestandteilen dennoch Individuelles zeichnen. Außerdem gibt es kleine Details, die den jeweiligen Charakter in dieser Extremsituation unterstreichen, wie das handgenähte Hemd oder das Halstuch der Verlobten.

- Das Kostüm ist Teil der Geschichte. Was sind die besonderen Herausforderungen bei den Vorbereitungen?
Wenn wir eine Vorstellung haben sowohl von den Figuren als auch von der Gesamtstimmung des Films, von Bildsprache und Farbkonzept, fangen wir an, die Kostüme in Fundi, auf Dachböden oder auf Flohmärkten zusammen zu suchen oder wählen Stoffe aus. Diese schweren, oft steif wirkenden Originalstoffe, aus denen die alten Uniformen waren, gibt es heute gar nicht mehr. Der Stoff hieß übrigens »Deutscher Wald«, weil die zu der Zeit wenig vorhandene Wolle mit Pflanzen und Sägespänen versetzt wurde. Vieles haben wir extra anfertigen und mit großem Aufwand patinieren lassen. Unterstützt wurde ich dabei von Constanze Schuster aus Hamburg, die sich mit ihrem Atelier Couleur & Co auf die Oberflächengestaltung von Stoffen spezialisiert hat. Drei Wochen hat sie auf unseren Kostümen Gebrauchsspuren hinterlassen, wie Salzkrusten oder Schweißflecken. Die Kostüme müssen benutzt aussehen, die Geschichten in den Materialien zu spüren sein. Bei Unter dem Sand waren die Farben der Hemden und Hosen auf die Farbe des Strandes und des Sands abgestimmt, also monochrom. Die Farbgestaltung ist Teil der Konzeption eines jeden Kostümbildes.
Bei dem internationalen Projekt Lore von Cate Shortland über vier Kinder, die sich nach dem Krieg und der Verhaftung ihrer Nazi-Eltern zu ihren Großeltern Richtung Nordsee aufmachen, haben wir uns in zwei Farbwelten bewegt: Inspiriert durch die Landschaften wie die satte grüne Wald- und Wiesenlandschaft im Süden geht die Reise in Richtung Nordsee. Diese Farbreise wurde auch über die Kostüme mit erzählt. Die Kinder trugen auf der Flucht über Wochen ihre Kleider. Daher haben wir alle Kinderkleider in vierfacher Ausführung anfertigen lassen, zunächst sehen wir sie in satten Farben, die weiteren Stadien auf der Reise haben wir immer weiter farbentsättigt in Richtung Grau-blau wie die Nordseelandschaft. Die letzte Version der Kleider der Reise war dann zwei Nummern größer geschneidert, um die Entbehrungen der Kinder auf ihrer Flucht zu zeigen.
- Lore und Unter dem Sand sind historische Filme. Wie wichtig ist für Sie Authentizität?
Sehr wichtig. Die Zeit, in der der Film spielt, muss so genau wie möglich recherchiert werden. Wenn dieser historische Rahmen gegeben ist, wir alles über Uniformen und über die Kleidung in der Zeit wissen, können wir uns die Freiheit herausnehmen zu abstrahieren, zum Beispiel Schnitte für Kostüme auf das Heute zu adaptieren.

- Sie waren bei zwei internationalen Filmprojekten von Hamburg aus als Head of Department mit dabei. Wie lief die Zusammenarbeit?
Bei beiden Projekten war die Zusammenarbeit sehr gut und intensiv. Martin Zandvliet hat mir von Beginn an vertraut und mich eigenverantwortlich arbeiten lassen. Wir hatten im Grunde mit der Kostümbesprechung und der Kostümprobe nur zwei gemeinsame Termine im Vorfeld. Dieses Vertrauen ist für mich Wertschätzung und Ansporn zugleich. Bei Cate Shortland war es ähnlich. Ihre Ideen und Visionen waren für mich sehr inspirierend. Um sich kennenzulernen, aber auch um ein Gespür für die Geschichte und die Figuren zu bekommen, haben wir alle zusammen gekocht, gegessen, Musik gehört und gemeinsam gebrainstormt. So können Regie, Kamera, Szenen- und Kostümbild eine gemeinsame Sprache finden. Interessant und lehrreich war für mich bei beiden Projekten der Blick von außen auf die deutsche Geschichte, diese Unbefangenheit, die wir so nicht haben. Generell ist die Arbeit mit internationalen Teams eine große Bereicherung und meiner Meinung nach auch für den Standort Hamburg Schleswig-Holstein wichtig. Hier sitzen mit Andrew Bird, Silke Fischer, Barbara Kreuzer und noch vielen anderen international erfahrene und preisgekrönte Kreative in den wichtigen Departments Schnitt, Szenenbild, Maske und Kostüm, die nicht nur mit ihren jeweiligen Handschriften den Film bereichern, sondern auch den Filmstandort im Norden repräsentieren.
- Machen Kleider Leute?
Ja, auf jeden Fall. Das kann man sehr gut auch auf den Film beziehen. Ein Kostüm hilft den Schauspieler*innen dabei, in ihre Rolle zu kommen. Es gibt ihnen Halt und Unterstützung. Man bewegt sich einfach anders in einer steifen Uniform als in einem weiten Anzug, in Turnschuhen anders als in Pumps, in Boxershorts anders als in kratzigen langen Unterhosen. Jedes einzelne Kleidungsstück, jede Kleidungsschicht ist wichtig, um die Facetten und die Vielschichtigkeit der Figuren zu zeigen.
- Was sind Ihre Inspirationsquellen? Wo finden Sie Anregungen?
Ich fahre berufsbedingt viel Zug und habe begonnen, kleine Geschichten über meine Mitreisenden zu schreiben. Dabei lasse ich ihre Kleider erzählen, ich beobachte jedes Detail und stelle mir die Person vor. Wo kommt sie gerade her, fährt sie zu einem Bewerbungsgespräch, fährt sie in den Urlaub, lebt sie allein? Das macht großen Spaß, und wenn ich dann mit den Menschen in Kontakt komme, gibt es auch die eine oder andere Übereinstimmung (lacht). Ich lasse mich natürlich auch von Kinofilmen inspirieren. Die Figur, die ich immer noch im Kopf habe, ist Mr. Spock aus Raumschiff Enterprise(lacht), diese Frisur, das Kostüm, das ist einfach stimmig! Auch die großartige Bildsprache in den Filmen von Aki Kaurismäki, Pedro Almodóvar oder Ang Lee begeistert mich immer wieder. Diese Regisseure haben es verstanden, dass alle Gewerke verzahnt miteinander arbeiten müssen, um diese wunderbaren Bild- und Farbkonzepte umzusetzen. Eine andere Inspirationsquelle ist zum Beispiel der Fotoband »Warten auf Europa« von Frank Gaudlitz. Er porträtiert Bewohner aus Südosteuropa in ihrer jeweiligen Lebenssituation, in ihrer Arbeits- und Alltagskleidung oder in Trachten. Ich finde Gaudlitz' Blick so faszinierend. Bei einer Landarbeiterin spiegeln sich die Falten des Kleides, in denen des Gesichts und auch in den Furchen des Ackers wider. Das ist wirklich großartig.
- Bei der Verleihung des Europäischen Filmpreises in Breslau lobte die Jury unter anderem Ihre außerordentliche Detailgenauigkeit, ein hohes Maß an Realismus und zugleich eine intensive Poesie, die in den Kleidungen zu spüren sei, sowie das exzellente Zusammenspiel der Gewerke. Haben Sie also alles richtig gemacht?
Das ist ein wirklich großes Lob für meine Leistungen und für die Arbeit meines gesamten Teams. Diese internationale Auszeichnung beflügelt und bestätigt mich auf meinem Weg. Es war sehr ungewöhnlich, vor so vielen Menschen, die sich alle unglaublich gefreut haben, zu sprechen und dass dieser Preis wirklich mir gilt. Irgendwie haben wir das nicht gelernt, sich hinzustellen und einfach stolz zu sein.