MOIN Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein

Vor unserer Haustür

05.04.2018 | dokumentarfilmwoche hamburg 2018

Auch in diesem Jahr werden wieder rund 2500 Besucher erwartet

Politisch, ästhetisch, kritisch und unterhaltsam: vom 11. bis 15. April findet die dokumentarfilmwoche hamburg statt, Norddeutschlands einziges Dokumentarfilmfestival. Zum 15-jährigen Jubiläum erwartet die Besucher ein spannender Mix aus Kinofilmen, Installationen, Panels und viel Raum für Diskussionen.

Seit mittlerweile 15 Jahren lockt die dokumentarfilmwoche hamburg Besucher aus dem Umland in die Hansestadt. Rund 2500 sind es zuletzt im Schnitt gewesen. Filminteressierte auf der Suche nach besonderen Filmen, die nicht nur konsumieren, sondern sich austauschen wollen. Ein lokaler Treffpunkt, wie bei der Gründung von Rainer Krisp und Rasmus Gerlach im Jahr 2004 auch gedacht. Nur, dass sich die Qualität des Programms im Laufe der Jahre herumgesprochen hat und das Publikum mittlerweile aus ganz Deutschland nach Hamburg kommt. Mit den drei Segmenten "Filmprogramm", "Positionen" und "Retrospektive" bietet das Event genügend Raum, um sich dem Thema Dokumentarfilm von verschiedenen Seiten zu nähern. Was sich hinter den einzelnen Punkten verbirgt, möchten wir euch im Folgenden vorstellen. 

Filmprogramm

Aus einem Jahr der Nichtereignisse

„Wir haben mit unserem Team für die Filmauswahl Themen herausgesucht, die wir für relevant halten, die vor unserer Haustür passieren", verrät Lili Hartwig, die bereits seit mehreren Jahren zum Kernteam gehört. Es verwundert also kaum, dass rund ein Drittel der Filme bei der dokumentarfilmwoche hamburg einen regionalen Bezug hat, wenn auch auf ganz unterschiedliche Weise: So folgt der schleswig-holsteinische Filmemacher Malte Blockhaus in Following Habeck (14. April, 18.30 Uhr, Lichtmess) dem Grünen-Politiker Robert Habeck bei seinem Wahlkampf um das Amt des Spitzenkandidaten seiner Partei und zeigt dabei einen Querschnitt durch den Terminkalender eines Spitzenpolitikers – ohne viele private Momente, immer auf dem Weg zum nächsten Termin. Wie ein Kontrastprogramm kommt da Aus einem Jahr der Nichtereignisse (15. April, 14 Uhr, Metropolis) daher: Der fast 90-jährige Willi lebt alleine mit seinen Katzen, Hühnern und Gänsen auf einem verwilderten Bauernhof in Schleswig-Holstein. Die Filmemacher Ann Carolin Renninger und René Frölke nutzen diese absolute Entschleunigung, um den Blick auf das zu lenken, was ihn umgibt: Der Sonnenschein an der bröckelnden Hauswand, das grüne Moos am Gartenstuhl, die Blüten der Obstbäume – alltägliche Unaufgeregtheit in ihrer reinsten Form. 

Trailer - Following Habeck

Gerade frisch von der Berlinale kommt Rosa Hannah Ziegler mit ihrem Langfilmdebüt Familienleben (15. April, 16.30 Uhr, Metropolis). Auch wenn der Film der gebürtigen Hamburgerin ebenfalls auf einem verlassenen Bauernhof spielt, ist der Grundtenor ein anderer: Die Filmemacherin der Wendländischen Filmkooperative zeichnet mit viel Feingefühl das Porträt einer vierköpfigen Familie am Rande der Gesellschaft. Der Hamburger Filmemacher Martin Prinoth begleitet in seinem Film Die fünfte Himmelsrichtung (12. April, 21 Uhr, Lichtmess) seinen Cousin Markus, ein Adoptivkind aus Brasilien, auf der Suche nach seiner Vergangenheit. Markus folgt dabei den Spuren seines ebenfalls aus Brasilien stammenden Adoptivbruders Georg, der seinerseits bei der Suche nach seiner leiblichen Mutter bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam. Mit einer bei großen Teilen der Bevölkerung unbekannten politischen Bewegung beschäftigt sich Regisseur Gerd Kroske in SPK Komplex (14. April, 18.30 Uhr, Metropolis). Der Berlinale-Film um das von Assistenzarzt Wolfgang Huber in Heidelberg gegründete „Sozialistische Patientenkollektiv" (SPK) zeichnet die Entstehung und das Ende der politischen Bewegung in den 70ern nach, spricht mit zahlreichen Zeitzeugen – und rekonstruiert präzise das gesellschaftliche Klima im deutschen Vorherbst – sieben von 32 Drehtagen fanden in Hamburg statt. 

Auch zwei Hamburger Nachwuchsfilmer sind dieses Jahr im Programm: Die HFBK-Absolventen Marvin Hesse und Salka Tiziana haben mit Everyone in Hawaii Has a Sixpack Already (14. April, 21.30 Uhr, Metropolis) laut Lili Hartwig einen der schönsten Jugendfilme der letzten Jahre abgeliefert. Der Film folgt vier Jugendlichen auf der kanarischen Insel La Gomera ein Jahr vor ihrem Schulabschluss Giada, Omar, Jorge und Aaron leben fast wie im Paradies – doch nach der zehnten Klasse endet die Schulbildung auf der Kanareninsel und es wird die vier Freunde in alle Himmelsrichtungen zerstreuen. In Landschaften des Krieges, Landschaften des Friedens (14. April, 18.30 Uhr, B-Movie) begibt sich Regisseur und HFBK-Absolvent Aron Sekelj auf die Reise Suche nach bestehenden und verschwundenen materiellen Spuren des Krieges im Kosovo. Menschen sind nicht zu sehen, nur die Konsequenzen ihres Handelns an den Orten des Geschehens.

Doch es stehen natürlich längst nicht alle Filme im norddeutschen Kontext - vielen gemein ist jedoch ein unaufgeregter Ansatz, der das Alltägliche weitab von den Superlativen unserer digitalen Welt zeigt und den Zuschauer dezent daran erinnert, dass es eine Welt jenseits von Mobiltelefonen und Computerbildschirmen gibt. Die Filme werden im Metropolis, B-Movie und Lichtmess Kino zeigt. Bei den meisten Veranstaltungen sind die Filmemacher oder Teile des Filmteams vor Ort und stehen im Anschluss für Gespräche zur Verfügung.

Das komplette Filmprogramm findet ihr hier.

Positionen

Die Veranstaltungsreihe "Positionen" wartet in diesem Jahr zum dritten Mal mit Vorträgen, Diskussionen und Filmen zu bildpolitischen Fragen auf. „Gerade in Zeiten von Fake-News und Co. ist es wichtig zu verstehen, welche Macht Bewegtbild hat und wie es für verschiedene Zwecke eingesetzt wird", sagt Lili Hartwig. Ein Schwerpunkt der Reihe liegt auf dem Hamburger G20-Gipfel im letzten Jahr, zu dem es am Freitag (13. April, 14 und 18 Uhr) zwei Veranstaltungen geben wird. Dem „Voice-over" im Dokumentarfilm widmen sich Lina Paulsen und Julia Cöllen vom Festival-Team am Samstag (14. April, 14 Uhr), die anhand unterschiedlicher Filme gemeinsam mit Filmschaffenden und Publikum über die Möglichkeiten und Beschränkungen des Voice-Overs diskutieren werden. Die Installation "Eine Kneipe auf Malle" des Hamburger Künstlers Marian Mayland wird an allen Festivaltagen gezeigt und beschäftigt sich sowohl mit rechten als auch linken politischen Strömungen. Um Bewegtbild aus Kriesgebieten geht es bei dem Dokumentarfilm Sand und Blut von Matthias Krepp und Angelika Spangel, der am Donnerstag (12. April, 19 Uhr, B-Movie) im Beisein der beiden RegisseurInnen gezeigt wird. Alle Veranstaltungen aus der Sektion "Positionen" (außer der Film „Sand und Blut") finden im Festivalzentrum Frappant nahe der S-Bahn Station Holstenstraße statt, wo ihr während des Festivals auch das Team der dokumentarfilmwoche findet. Und wer nach einem langen Dokumentarfilmtag noch nicht gleich nach Hause will, kommt ab 22 Uhr zum dokfilmclub in den Partykeller des Frappant (fuxilirium), um den Abend tanzend, entspannt oder diskutierend bei einem kleinen Getränk ausklingen zu lassen.

Das komplette Positionen-Programm gibt es hier.

Retrospektive

Keine leichte Kost, aber sehr unterhaltsam und mit extrem guter Musik – so beschreibt Lili Hartwig die Filme des Amerikaners Travis Wilkerson, der in diesem Jahr für die Sektion "Retrospektive" ausgewählt wurde. Insgesamt elf Kurz- und Langfilme des hierzulande noch recht unbekannten Filmemachers zeigt das Festival von Donnerstag bis Sonntag. Doch wer ist der Filmemacher, der in den USA vielerorts nur noch „das politische Gewissen des amerikanischen Dokumentarfilms" genannt wird?

Trailer - Did you wonder who fired the gun?

Retrospektive

Bevor sich Travis Wilkerson dem Filmemachen verschrieb, studierte der in Montana aufgewachsene Sohn eines Vietnamveteranen Fremdsprachen und Literatur. Inspiriert durch die revolutionäre filmische Arbeit von Santiago Álvarez und ein Zusammentreffen mit ihm auf Kuba entstand Wilkersons erster Film "Accelerated Under-Development: In the Idiom of Santiago Alvarez", in dem sich bereits eine klare politische Haltung und eine essayistische Herangehensweise abzeichnen, die seine späteren Werke prägen sollten. Sein Debüt wird am Donnerstag (12. April, 21 Uhr) zur Eröffnung der Retrospektive im Metropolis Kino gezeigt. Wilkerson wird bei allen Vorführungen seiner Filme anwesend sein.

Das komplette Programm der Retrospektive findet ihr hier.

Credits: dokfilmwoche hamburg, Ann Carolin Renninger und René Frölke, Malte Blockhaus, Rosa Hannah Ziegler, Martin Prinoth, Gerd Kroske, HFBK
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