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„Ein Film, der dich überleben wird"
09.05.2018 | Deutscher Filmpreis für Hark Bohm

Mit Fatih Akin schrieb er die Drehbücher zu "Tschick" und "Aus dem Nichts", drehte selbst Klassiker wie "Nordsee ist Mordsee" und ist Mitgründer des Filmbüros Hamburg und des Münchener Filmverlags der Autoren: Der Hamburger Filmemacher und Schauspieler Hark Bohm wurde jetzt beim Deutschen Filmpreis mit der Ehren-LOLA für seine herausragenden Dienste für den deutschen Film geehrt. Wir haben gemeinsam mit ihm auf seine Karriere zurückgeblickt.
Neulich rief eine Mitarbeiterin vom Hafenbahnhof bei Hark Bohm an, eine kleine, urige Kneipe nur unweit des Hamburger Fischmarkts. Sie wolle gerne seinen Film Nordsee ist Mordsee zeigen und habe auch die DVD. Klar, Bohm hatte nichts dagegen. Lizenzgebühren? Wollte er nicht. Am Abend der Vorstellung war der Filmemacher zufällig mit Freunden am Hafen unterwegs und entschied sich kurzerhand, der Kneipe mal einen Besuch abzustatten. Erwartungen hatte er keine, denn welche jungen Leute sollten sich schon für einen mehr als 40 Jahre alten Film interessieren? „Wir mussten erstmal googeln, wo die Kneipe überhaupt ist", so Bohm. „Doch als wir dann da waren, war es proppevoll. Unglaublich. Und dann ist mir erst klar geworden: Alter, du hast einen Film gemacht, vor über 40 Jahren. Und da sitzen die Leute heute, 2018, und lachen an den richtigen Stellen. Du hast einen Film gemacht, der dich überleben wird." Bohm schaut immer noch etwas ungläubig, während er die Geschichte erzählt. Dabei waren Nordsee ist Mordsee und auch sein frühes Werk Tschetan, der Indianerjunge erst der Anfang – beides Filme die ihm, wie er selbst sagt, "Türen geöffnet haben".

Von Hamburg nach München – und zurück
Der gebürtige Hamburger stand in den vergangenen Jahrzehnten für mehr als 50 Filme als Darsteller selbst vor der Kamera, drehte preisgekrönte Filme wie Yasemin und schrieb gemeinsam mit Fatih Akin die Drehbücher zu Tschick und Aus dem Nichts – für letzteren gab es beim Deutschen Filmpreis gerade die LOLA für das beste Drehbuch. Die Ehren-LOLA für seine Verdienste für den Deutschen Film bekam er jedoch noch aus einem anderen Grund: Bohm hat sowohl im Norden als auch im Süden Deutschlands die Gründung verschiedener Filminstitutionen mit angestoßen und die Szene weiter vernetzt. Ein unermüdlicher Arbeiter, der im Hintergrund viele Weichen stellte. Bereits 1971 gründete er gemeinsam mit Wim Wenders und anderen Filmemachern den Filmverlag der Autoren in München – ein deutscher Filmverleih samt Produktionssparte, der sich auf den Neuen Deutschen Film konzentrierte. Insgesamt zwölf Jahre lebte Bohm in der bayerischen Hauptstadt. Hier waren die Filmemacher zu Hause, die sich – wie auch Bohm selbst – dem Spielfilm verschrieben hatten.
Hamburg hingegen galt als Hochburg für den Experimentalfilm, doch das sollte sich bald ändern: „1979 hatten die bayerischen Filmemacher krach mit dem Staat Bayern, da ein Mann Chef des Filmfests werden sollte, der eigentlich die Modewoche geleitet hat. Daraufhin habe ich bei Hamburgs damaligem Bürgermeister Hans-Ulrich Klose angerufen und gefragt, ob er sich vorstellen kann, eine Filmförderung in Hamburg zu finanzieren, die von den Filmemachern selbst verantwortet und verwaltet wird", verrät Bohm. Und er konnte. Im gleichen Jahr entstand das Hamburger Filmbüro, aus dem sich dann über viele Jahre hinweg die Filmförderung Hamburg entwickelt hat. Parallel wurde 1979 gemeinsam mit anderen Filmgrößen wie Werner Herzog, Volker Schlöndorff und Wim Wenders in Hamburg ein Filmfest veranstaltet: „Daraus haben wir ein richtiges Spektakel gemacht. Die Münchner Filmmacher haben sich bei der Bundesbahn extra einen Zug gemietet, mit dem sie dann nach Hamburg gefahren sind." Die Hamburger-Experimentalfilmer und die Münchener Spielfilmszene rauften sich zusammen – ein kleiner Meilenstein für die deutsche Filmszene.

Das Filmstudium in Hamburg
Hark Bohm, der ursprünglich Rechtswissenschaften studierte, brach sein Referendariat 1969 ab und widmete sich ab diesem Zeitpunkt ganz dem Film. Er spielte unter anderem in mehreren Produktionen von Rainer Werner Fassbinder mit und versuchte sich im Kurzfilmgenre – doch dabei sollte es nicht lange bleiben. Bohm wandte sich Anfang der 70er an den 2017 verstorbenen Michael Ballhaus, der heute als einer der wichtigsten deutschen und internationalen Kameramänner überhaupt gilt und mit Größen wie Martin Scorsese oder Francis Ford Coppola zusammenarbeitet hat. „Ich hab das Drehbuch zu Tschetan, der Indianerjunge damals Michael Ballhaus gezeigt, der sofort sagte: Das machen wir! Michael und ich haben jeden Abend zusammengesessen und die Bildauflösung für den nächsten Tag gemacht. Durch ihn habe ich gelernt, was Filmemachen eigentlich ist. Das war meine Filmschule – und zwar die intensivste, die man sich vorstellen kann", schwärmt Bohm. Diese durch und durch praktische Erfahrung prägte ihn – und er nutzte sie für eines seiner größten Vorhaben: den Aufbaustudiengang „Film" an der Universität Hamburg.

Gemeinsam mit dem Opern-Regisseur Götz Friedrich, Theaterregisseur Jürgen Flimm und Uni-Präsident Peter Fischer-Appelt macht er sich Ende der 80er an das ehrgeizige Projekt. Bohm reiste von 1989 bis zur Eröffnung des Studiums 1993 durch die Welt und schaute sich verschiedene Filmstudiengänge an: von Havanna, über die Columbia University in New York und die berühmte UCLA Filmhochschule in Los Angeles bis hin nach Moskau und Lodz in Polen, von wo er auch den ersten Kameradozenten Kurt Weber mitbrachte. Aus seinen Erfahrungen an den unterschiedlichen Universitäten strickte Bohm einen neuen Studiengang, dessen Dozenten ausschließlich erfahrene Persönlichkeiten aus dem Filmbusiness waren. Doch was war neu an dem Studiengang? „Ich habe das Erzählkino immer als Gesamtkunstwerk gesehen, das Ergebnis einer Arbeitsteilung von Menschen mit unterschiedlichen Talenten. Die Beobachtung, dass die Gewerke unterschiedliche Begabungen voraussetzen, war für mich ein Anlass zu sagen: Warte mal, wir müssen etwas wirklich ganz anders machen, um dem deutschen Erzählkino den Weg zu bahnen." Und so startete der Studiengang mit den Gewerken Regie und Drehbuch – 1996 wurde er um die Bereiche Kamera und Produktion erweitert und 2004 in die Hamburg Media School (HMS) integriert. Zu den Dozenten zählten unter anderem Drehbuchautor Peter Steinbach und ZDF-Produktionschef Peter Gerlach. Aus seiner Zeit mit Michael Ballhaus, der auch die Kameraklasse des Studiengangs gründete, hatte Bohm außerdem gelernt, dass eine kurze, intensive Lernphase produktiver sein kann als ein langgezogenes Studium. Während man in München fünf Jahre studieren musste, verkürzte Bohm das Studium in Hamburg radikal auf zwei Jahre. Und der Erfolg gab ihm und seinem Team recht, denn in den vergangenen Jahren waren gleich mehrere Abschlusskurzfilme für einen Oscar nominiert – zuletzt in diesem Jahr „Watu Wote" von Regisseurin Katja Benrath. Doch ganz egal ob Filmbüro, Verlag der Autoren oder eben das Filmstudium: Hark Bohm wird nicht müde zu betonen, dass all diese Institutionen auf eine Gruppenleistung zurückzuführen sind. Den Hang zur Teamarbeit führt er auf seine Kindheit auf der Insel Amrum zurück, auf der er nach dem Wegzug aus Hamburg groß geworden ist: „Es gab auf der Insel nur einen Arzt und das nächste Krankenhaus war in Niebüll. Da ist es einfach notwendig, dass man zusammen arbeitet, selbst wenn man sich nicht ganz grün ist. Vielleicht kommt daher dieser Drang von mir, dass ich Dinge wie das Hamburger Filmbüro oder Filmverlag der Autoren gemeinsam mit den anderen Filmemachern angegangen bin", so Bohm.

Zusammenarbeit mit Fatih Akin
Dass der LOLA-Gewinner trotz seines Alters noch nicht ans Aufhören denkt, beweist die jüngste Zusammenarbeit mit Fatih Akin eindrucksvoll. „Ich finde Gegen die Wand und auch Aus dem Nichts sind echte Meisterwerke. Ich bin für Fatih allenfalls ein Handwerker der sagt: Warte mal, diese Schraube da musst du etwas fester anziehen. Ein technischer Ratgeber. Ich halte ihn für einen besseren Filmemacher als mich", sagt Bohm. Wenn es um die Zusammenarbeit mit dem Golden Globe-Gewinner Akin geht, ist der Altmeister voll des Lobes. Gerade vor ein paar Tagen rief er bei Bohm an, um sich einen Ratschlag für sein aktuelles Projekt zu holen. Ein ständiger Austausch, von dem beide profitieren, bei dem beide die Meinung des anderen schätzen. Doch aktuell liegt Hark Bohms Fokus auf einem eigenen Projekt: Gemeinsam mit Herman Weigel schreibt er das Drehbuch zu einem Film über den SS-Richter Konrad Morgen, das von der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein bereits Drehbuchförderung bekommen hat. Ob dabei ein neuer Klassiker herauskommt, wird die Zeit zeigen. Für den Filmstandort Hamburg ist Hark Bohm bereits jetzt unsterblich – auch wenn er das vielleicht noch nicht ganz glauben mag.
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