
Grusel in St. Paulis ehemaligem Chinesenviertel
06.09.2018 | Tian - Das Geheimnis der Schmuckstrasse

Mystery- und Gruselfilme aus Deutschland sind nach wie vor echte Mangelware. Dass es keinen Grund gibt, sich hinter der internationalen Konkurrenz zu verstecken, beweisen Regisseur Damian Schipporeit und Produzent Stefan Gieren mit ihrer Hamburg-Produktion "Tian – Das Geheimnis der Schmuckstraße". Wir haben mit Stefan über das ehemalige Chinesenviertel auf St. Pauli gesprochen und gefragt, was ihn am Mystery-Genre reizt.
- Wie seid ihr auf die Schmuckstraße in Hamburg gekommen?
Ich bin mit meinem Abschlussfilm Raju ziemlich viel auf Festivals gereist und war unter anderem auch in Shanghai. Die Gästebetreuerin war Ethnologin und hatte gerade eine Doktorarbeit über die unterschiedlichen chinesischen Viertel in Europa abgeschlossen. Nach Hamburg ist sie auch gereist, um das Viertel auf St. Pauli zu besuchen – so sind wir dann ins Gespräch gekommen. Ich selbst hatte als Hamburger nie etwas davon gehört. Dabei ist es eine wahnsinnig spannende Geschichte, die völlig unaufgearbeitet ist. Es gibt nur sehr wenig Quellen – dementsprechend ist die Recherche nicht ganz einfach. Etwa 130 Chinesen wurden dort zum Ende des zweiten Weltkrieges verhaftet und in Arbeitslager geschickt. In den fünfziger Jahren gab es Prozesse zu dem Fall und die Stadt Hamburg sagte, dass es eine Polizei Aktion gewesen sei. Aus diesem Grund wurde es nie als rassistisches Verbrechen anerkannt und dann schlussendlich auch nicht aufgearbeitet. Es gibt immerhin eine Gedenktafel in der Schmuckstraße – doch selbst dafür muss das St. Pauli Archiv Miete bezahlen.
- In wieweit geht ihr in dem Film auf die Vergangenheit ein?
Mit dem Geister-Genre können wir ziemlich gut auf die Historie eingehen, auch wenn das vielleicht erstmal etwas komisch klingt. Wir haben mit dem Historiker Lars Amenda zusammen gearbeitet, der seine Doktorarbeit über das Hamburger Chinesenviertel geschrieben hat und zum Beispiel Opfernamen recherchierte. Es gibt Figuren und Passagen im Film, die einen ziemlich genauen Eindruck von den historischen Zusammenhängen vermitteln. Ich glaube, dass man nach dem Film einen sehr guten Überblick darüber hat, was damals die Probleme waren und welche Ursachen es dafür gab. Wir haben mit der Initiative "Stolpersteine Hamburg" zusammen gearbeitet und vor dem Dreh an der Ecke Große Freiheit/Schmuckstraße einen neuen Stolperstein verlegen lassen, der auf eine Person verweist, die vorher gar nicht bekannt war.

- Wie lange hat die Recherche gedauert?
Das Filmfest in Shanghai ist schon fünf Jahre her. Als von NDR, FFHSH und nordmedia dann 2015 das Nordlichter Förderprogamm mit dem Schwerpunkt „Mystery" ausgeschrieben wurde, hatte ich total Lust darauf, eine Geisterhausgeschichte in Hamburg zu erzählen. Die richtige Recherche und weitere Entwicklung hat dann rund ein Jahr gedauert.
- War es für dich die erste Mystery Geschichte die du gemacht hast?
Für mich war es tatsächlich schon der zweite Mystery- bzw. Gruselfilm. Ich habe 2012 mit Radio Silence bereits einen Slasherfilm gedreht – mit demselben Kameramann und Cutter wie bei Tian. Ich verknüpfe sehr gerne eine relevante Erzählung mit einem starken Genre.
Tian - Das Geheimnis der Schmuckstrasse (Trailer)

- Was gefällt dir am Mystery-Genre?
Wenn es ein Genre gibt, das besonders nah am Publikum ist, ist es sicherlich das Mystery- oder Grusel-Genre, da man hier mit ursprünglichen Instinkten wie Angst, Hoffnung, Sehnsucht oder Unsicherheit arbeitet – der Zuschauer wird regelrecht in den Film reingesogen und ohne erhobenen Zeigefinger an eine Thematik herangeführt.
Im dem Genre geht es darum, Protagonisten in eine Situation zu werfen, in der sie völlig überfördert sind – und dann zu beobachten, wie sie damit umgehen, wie sie kämpfen, wie sie sich als Menschen verhalten und wie sie wachsen. Ein total schönes Genre für eine Charakterstudie, in dem man mit Kostümen und Kameraeinstellungen sehr visuell arbeiten kein. Kurzum: Es macht wahnsinnig Spaß, einen Gruselfilm zu drehen.
- Wieviel aus der Story ist Fiktion, wieviel ist real?
Wir erzählen eine fiktionale Geschichte vor dem Hintergrund des historischen Hamburger Chinesenviertels. Unser Haus im Film wird von einem alten Mann bewohnt, der die schlimme Zeit als Kind miterlebt hat – und das ist schon die erste Fiktion.

- Wie viel kann man heutzutage noch von dem Chinesen Viertel sehen?
Die Hongkong Bar auf dem Hamburger Berg kann man auch heute noch besuchen. Sie wurde von einem der Überlebenden gegründet und seine Tochter Marietta ist heute noch die Wirtin. Ansonsten wurde leider so gut wie alles weggebombt. Alte Fassaden für die Flashback-Sequenzen haben wir uns dann an anderen Stellen wie zum Beispiel die Wexstraße gesucht. Das Spukhaus aus unserer Geschichte ist übrigens eigentlich die Tai-Oase in der Großen Freiheit. Wir haben natürlich nicht in der Tai Oase gedreht, aber die Außenaufnahmen sind dort entstanden.
- Wer oder was ist "Tian"?
Das Wort kommt aus dem Chinesischen und bedeutet Himmel – doch es steht auch für ein religiöses Konzept der Chinesen. Der Himmel und die Unterwelt stehen für Ying und Yang. Der Begriff Tian ist eine Vermengung aus philosophischen, religiösen und traditionellen chinesischen Elementen.
- Wie war es mit Regisseur Damian Schipporeit zusammenzuarbeiten, da Tian ja sein erster Lang Film war?
Damian kenn ich schon sehr lange. Ich hab vor rund zehn Jahren mit ihm einen Kurzfilm gemacht, als wir beide noch keine Ahnung von Film hatten. Er hat auch lange auf St.Pauli gewohnt und kennt die Gegend ganz gut. Es war eine tolle Zusammenarbeit für uns beide. Bei seinem Debutfilm hängt man sich auch ganz anders rein, als wenn man bereits seit 15 Jahren Filme macht. Da hängt dann natürlich auch viel mehr dran
- Gibt es andere historische Ereignisse in Hamburg, über die du gerne mal einen Film machen würdest?
Also St. Pauli ist voll von Geschichten, auch in der jüngeren Historie in den 70er oder 80er Jahren, das muss eine irre Zeit gewesen sein. Wenn man sich die Jahrhunderte anguckt, ist St. Pauli immer wieder abgerissen und aufgebaut worden. Und so ein bisschen passiert das ja jetzt auch wieder. Es bleibt also auch in Zukunft ein spannender Stadtteil mit vielen Geschichten, die erzählt werden wollen.
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