
Eine Zeitreise im Graphic Novel-Look
24.09.2018 | Zu Besuch in der Animationsfabrik
Ein wilder, erschütternder Animationsritt durch das kriegszerstörte Angola der 70er: Am 28. September feiert "Another Day of Life" seine Deutschlandpremiere beim Filmfest Hamburg. Für große Teile der Animation war die Hamburger Firma "Animationsfabrik" zuständig. Wie genau der faszinierende Look der internationalen Koproduktion entstanden ist und wieviel Arbeit in der Produktion steckt, zeigen wir euch hier.
Kameramann in einem Animationsfilm – das macht im ersten Moment nicht allzu viel Sinn. Denn Animationsfilme entstehen zum Großteil am Computer. Doch wer sich den Kinofilm Another Day of Life anschaut, wird das Gefühl nicht los, dass hier irgendwie anders vorgegangen wurde. Zu organisch und geführt wirkt die manchmal leicht zittrige Kamera, die den Zuschauer ins vom Bürgerkrieg erschütterte Angola der 70er Jahre eintauchen lässt. Bereits in Cannes konnte die Wüste Film-Produktion mit einer starken Story und faszinierendem Graphic Novel-Look das Publikum begeistern. Ein Look, der in Hamburg mitkreiert wurde. In Ottensen sitzt nur unweit der Elbchaussee ein 25-köpfiges Team aus Animationsspezialisten, das von Kinofilmen über TV-Serien bis hin zu Werbung ein breites Portfolio abdeckt. Unter der Leitung von Jörn Radel sind in der "Animationsfabrik" in den letzten Jahren Filme wie Der kleine Eisbär, Käpt'n Blaubär – oder eben auch Another Day of Life mitentstanden.

Eine internationale Koproduktion
Rund eineinhalb Jahre hat das Team der Animationsfabrik intensiv an dem Film der Regisseure Raúl de la Fuente und Damian Nenow gearbeitet – oder in Zahlen: 30 Sets und 49 Charaktere zu Another Day of Life sind an der Elbe entstanden. Das Team musste für die aufwändigen Arbeiten auf 35 Personen und zwei externe Firmen ausgeweitet werden. Der Film ist eine Vier-Länder-Produktion, an der neben Deutschland auch noch Spanien (Kanaki Films) und Polen (Platige Film) als Hauptproduktionsländer sowie Belgien (Walking the Dog) als Koproduzent beteiligt waren.
Die Animationsfabrik ist über den Wüste Film-Geschäftsführer Stefan Schubert im Jahr 2012 zum Projekt hinzugestoßen. „Als Stefan mit der Idee zu uns kam, haben wir sofort zugesagt, da es ein künstlerisch und technisch sehr anspruchsvolles Animationsprojekt ist – das ist für eine europäische Produktion in diesem Umfang nicht gerade alltäglich", sagt Radel. Die beiden Regisseure hatten sich ihre Arbeit im Vorwege aufgeteilt. Während de la Fuente für den dokumentarischen Realteil verantwortlich war, übernahm Nenow den Animationspart und stand somit in ständigem Austausch mit der Animationsfabrik.
Der Film schildert das Drama des Angolanischen Bürgerkriegs 1975 aus Sicht des legendären Kriegsreporters Ryszard Kapuściński. In einer Mischung aus Animationssequenzen und aktuellen dokumentarischen Interviews mit Kapuscinskis Weggefährten von damals vermittelt der Film die Schrecken und Absurditäten des Krieges. Zugleich erlebt der Zuschauer Kapuścińskis Übergang vom objektiven Berichterstatter zum Schriftsteller, der versucht mit den Mitteln der Literatur der Wahrheit des Krieges näher zu kommen.
Motion Capturing oder „Wie baut man eine Szene“
Bevor die aufwendigen Arbeiten im Jahr 2012 starteten, setzte man sich mit den anderen Produzenten an einen Tisch, um die Zuständigkeiten zu klären. Die Animationsarbeiten wurden auf verschiedene Studios aufgeteilt – für die Animationsfabrik fiel die erste Klappe im Jahr 2014. Hier wurde ein Großteil der Vorabvisualisierung entworfen: Das Team modellierte 3D-Sets- und Hintergründe für verschiedene Szenen am Computer vor und platzierte die unterschiedlichen Charaktere in der Umgebung, die mit der Hilfe von Motion Capturing erstellt wurden: „Wir haben dafür extra eine Anlage, welche die Schauspieler aufnimmt und ihre Bewegungen in Echtzeit auf die virtuellen Figuren am Computer überträgt. Man sieht also sofort im virtuellen Set, wie das ganze später im Animationsfilm ungefähr aussehen wird", sagt Jörn Radel. Die Schauspieler agieren dabei in einem leeren Raum. Wenn jemand beispielsweise irgendwo gegentritt, steht dort einfach ein Platzhalter, der später am Computer übermodelliert wird. Auch die Gesichter der Schauspieler werden aufgenommen und in Anschluss auf die Gesichter der 3D-Modelle gesetzt. Das ist dann natürlich noch nicht der finale Look, aber eine gute Referenz für die Animatoren, die später die Animation der Mimik übernehmen.




Virtuelle Kamera
Nachdem eine Szene mit einem Schauspieler abgedreht ist, kann man sie in Schleife schalten und anschließend die nächste Figur für die Szene aufnehmen. So entsteht Stück für Stück eine Szene, bei der der Hintergrund jedoch immer gleich bleibt – lediglich die Zahl der Charaktere wächst, denn Massenszenen sind in der Regel aus vielen Einzelelementen zusammengesetzt. Einige Teile wurden bei diesem Arbeitsprozess von Animationsstudios aus Polen zugeliefert.


Als die Animationsfabrik 1998 ihre Arbeit aufgenommen hat, gab es kaum passenden Ausbildungen oder Studiengänge, um später im Animationsbereich tätig zu sein. „Zu dem Zeitpunkt haben wir vom Schulabbrecher bis zum Finanzwirt eigentlich jeden genommen, der etwas Talent hatte und sich für den Bereich interessierte", sagt Geschäftsführer Radel. In den letzten zehn bis 15 Jahren hat sich die Situation jedoch stark verändert – mittlerweile gibt es jede Menge Schulen, die im 3D- und VFX- Bereich ausbilden. Was braucht man also neben einer entsprechenden Ausbildung, um bei der Animationsfabrik anheuern zu können? „Ein solides Technikverständnis, ein gutes künstlerisches Auge sowie etwas Routine in den Arbeitsprozessen. Ansonsten ist aber nach wie vor die Leidenschaft für die Sache eines der wichtigsten Kriterien."
Virtuelle Kamera
Eine Besonderheit, die Another Day of Life von vielen anderen Produktionen unterscheidet, ist die virtuelle Kamera. Denn nachdem eine Szene abgedreht und alle Charaktere eingefügt wurden, kann die Kamera beliebig neu gesetzt werden: Man kann eine Szene nachträglich also von oben, unten, der Seite, nah und fern zeigen und zwischen den Figuren hin und herspringen – es gibt kaum Grenzen. „Wir hatten für diesen Arbeitsschritt ein ganz normales Kamera-Rig mit einem Vorschau-Monitor. Der einzige Unterschied ist, dass der Monitor nicht das wiedergibt, was die Kamera aufnimmt, sondern das Computersignal in den Vorschaumonitor eingespielt wird. Der Kameramann kann also ganz einfach durch die virtuelle Szene laufen – und steht eigentlich in einem leeren Raum", verrät Radel, der von der Technik nach wie vor begeistert ist. Auf diese Weise kann eine Szene aus 30 oder mehr Perspektiven aufgenommen und am Ende im Schneideraum zusammengefügt werden. Ein Vorgehen, auf das der eine oder andere Realfilmregisseur mit Sicherheit etwas neidisch sein dürfte. Welcome to the Future!
Trailer - Another Day of Life

Den letzten Schliff bekamen die einzelnen Szenen dann bei Platige Film in Polen. Hier wurde nochmal etwas an den Figuren und Welten geschliffen und der Look finalisiert. Eine intensive Zusammenarbeit, die am Ende definitiv ihre Früchte getragen hat und in dieser Kombination ziemlich einmalig sein dürfte. Das Ergebnis gibt es am 28. September beim Filmfest Hamburg im Passage Kino (Karten gibt es hier) zu sehen. Der offizielle Kinostart wird noch bekannt gegeben.
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