MOIN Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein

Kalte Winde und tote Schafe

05.12.2019 | Deutschstunde

Abschied von Ditte (Johanna Wokalek): Maler Nansen (Tobias Moretti) wird von der Polizei abgeholt

Mit der „Deutschstunde" hat Regisseur Christian Schwochow einen großen Roman der deutschen Nachkriegsliteratur verfilmt. Bei der Besetzung hat er mit Tobias Moretti, Ulrich Noethen und Johanna Wokalek auf drei Schwergewichte der deutschen Filmszene zurückgegriffen. Wir haben bei der Premiere auf dem Filmfest Hamburg mit Moretti und Wokalek über die Dreharbeiten in Schleswig-Holstein gesprochen.

Kanntet ihr beide das Buch als ihr für eure Rollen angefragt wurdet?

Tobias Moretti: Das Buch war bei mir leider gar nicht präsent. Ich musste die Deutschstunde zwar in der Schule lesen, habe mich aber ein wenig hindurchgemogelt und vieles übersprungen. Erst habe ich mich gefragt, warum Christian Schwochow gerade dieses Opus verfilmen will. Er war so fasziniert von dem Buch – er muss einen großartigen Deutschlehrer gehabt haben. Aber als ich dann das Drehbuch gelesen habe, wusste ich sofort, warum er diese Geschichte über Opportunismus und die Zerrüttung einer Gesellschaft erzählen will. Es gab einen roten Faden, der einen bis zum Ende einfach nicht mehr losgelassen hat. Und durch die kongeniale Zusammenarbeit mit dem Kameramann hat sich alles zu einem Gemälde zusammengefügt.

Johanna Wokalek: Ich hatte den Roman in der Schule nicht gelesen. Nach der Lektüre war ich jedoch sehr gespannt auf das Drehbuch. Ich finde es eine unglaubliche Leistung von Heide Schwochow, diesen dicken Roman in ein Drehbuch zu fassen und zu entscheiden, welcher Spur man darin folgt. Meine Rolle als Frau des Malers ist eine sehr spannende Figur. Sie ist im ersten Moment sehr unscheinbar, hat aber eine unglaubliche Tiefe und Kraft.

Jens Ole Jepsen (Ulrich Noethen) überbringt dem Maler Nansen den Bescheid über das Malverbot.

Wie war die Zusammenarbeit mit Christian Schwochow?

Johanna Wokalek: Richtig schön. Man hat am Drehort immer sofort gemerkt, wie gut vorbereitet Christian und Kameramann Frank Lamm waren.

Tobias Moretti: Mein erster Drehtag war im Studio. Es war die Szene, in der der ältere Bruder von Siggi schwerstens verwundet im Bett liegt und man genau weiß, dass der Vater ihn verraten wird. Es war so eine grausame und beklemmende Situation und ich wusste, ich musste diese Szene spielen. Das Spielen war dann fast wie eine Befreiung. Christian und Frank hatten die Szene so gebaut, dass ich das Gefühl hatte, gleichzeitig Zuschauer und Akteur in einem Theaterstück zu sein, es war wie ein Kammerspiel.

Ditte Nansen auf einer Schaukel vor ihrem Haus.

Geht ihr an eine Literaturverfilmung anders heran als an eine originäre Story?

Johanna Wokalek: Ich hab zwei Literaturverfilmungen hintereinander gemacht. Vor der Deutschstunde war es "Landgericht" von Ursula Krechel, bei der ebenfalls Heide Schwochow das Drehbuch geschrieben hat. Da war es tatsächlich so, dass ich mir in dem Roman die Prosastellen markiert und nochmal gelesen habe, bevor die entsprechenden Szenen gedreht wurden. Das hat mir dort geholfen, bei der Deutschstunde habe ich es jedoch nicht gebraucht. Heide hat ja gerade auch bei den Frauenfiguren für die Verfilmung Neues erfunden.

Wie hat euch die Landschaft in Schleswig-Holstein gefallen?

Johanna Wokalek: Mich hat die Landschaft fasziniert. Diese Weite, die Natur, das Licht, der bewegte Himmel. Wirklich toll! In der Deutschstunde sind die Drehorte sehr stark. Das norddeutsche Land und Wetter macht einfach was mit einem.

Tobias Moretti: Es war sehr speziell dort oben. Es war März, es war kalt und für mich irgendwie sehr exotisch. Jeden Tag hat man ein bis zwei tote Schafe gefunden. Mich hat das zuerst geschockt, aber nach ein, zwei Wochen hat man sich irgendwie in die Umgebung eingefügt. Ich habe mich dann oft auf die Szenen im Haus gefreut. Denn dort war es warm und friedlich. (lacht)

Sind irgendwelche skurrilen Dinge während der Dreharbeiten passiert?

Tobias Moretti: Wir hatten in einer Szene einen sehr schwierigen Dialog – und es war so windig, dass wir uns kaum verstanden haben. Eigentlich war es eine sehr intime Szene, aber am Ende haben wir uns dann wegen des Windes nur noch angeschrien. (lacht)

Der Film feiert heute Abend beim Filmfest seine Weltpremiere. Seid ihr vor solchen Veranstaltungen noch nervös?

Johanna Wokalek: Klar, ich bin auf jeden Fall noch ein bißchen nervös. Ich freu mich aber vor allem, ihn endlich gemeinsam mit einem großen Publikum zu sehen.

Tobias Moretti: Ich weiß, dass der Film funktioniert – in der Hinsicht bin ich nicht nervös. Aber ich bin sehr gespannt, wie die Menschen ihn aufnehmen.

Credits: Network Movie / Wild Bunch Germany 2019 / Georges Pauly
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