
Hamburger Thriller leistet Pionierdienste für Virtual Production
10.05.2021 | Studiodreh mit digitalen Außensets

Als eine der ersten Spielfilmproduktionen in Deutschland hat die Hamburger Gipfelstürmer Filmproduktion für den Thriller „The Social Experiment" auf die innovative Technologie von „Virtual Production" gesetzt. So konnte der Debütspielfilm des Hamburger Regisseurs Pascal Schröder mit umfangreichen Anteil im Studio vor einer LED-Wand mit virtuellen Hintergründen gedreht werden.
Die Newcomer-Produktion der beiden Hamburg Media School-Absolventen Pascal Schröder (Regisseur) und Daniel Schua (DoP) vertraute auf eine zukunftsweisende Technologie, wie sie erstmals von der Star Wars-Serie „The Mandalorian" im großen Stil praktiziert wurde. Statt für kurze Szenen teure Sets zu errichten und vor Green Screen zu drehen, stellte das VFX-Team der Hollywood-Produktion eine riesige LED-Wand ins Studio und bespielte diese mit einer fotorealistischen Darstellung des Hintergrunds aus der Game Engine Unreal. Die Kamerabewegungen aus dem realen Studio konnten über ein Tracking-System übertragen werden, das eine mit der Kamera synchronisierte Parallaxenverschiebung auf die LED-Wand erzeugt. Auf diese Weise lassen sich aufwendige Außensets in kontrollierbaren Studioverhältnissen umsetzen. Für den Thriller „The Social Experiment" fungierte die Produktion der „Star Wars"-Serie als Vorbild. Die neue Technik erlaubte es dem Team innerhalb weniger Tage auf dem Mond, in der Wüste oder in einer Eislandschaft zu drehen.

Regisseur Pascal Schröder hat zusammen mit Raffaela Kraus das Drehbuch gezielt auch für den Einsatz der virtuellen Technik geschrieben. „The Social Experiment" erzählt von fünf Freunden, die sich für ein Gewinnspiel auf ein vermeintliches Abenteuer im Escape-Room einlassen. Doch das sogenannte „Spiel" entpuppt sich in Wahrheit als ein Verhaltens-Experiment, das schon bald aus dem Ruder läuft.
Die 2020 von Andreas Schlieter, Kai Steinmetz und Pascal Schröder gegründete Hamburger Produktionsfirma Gipfelstürmer Filmproduktion hat als Partner Cinegate Hamburg und den Veranstaltungsdienstleister PRG Deutschland gewonnen, die im Studio 4 auf dem Cinegate-Gelände die 90 qm große LED Wand errichteten. Bespielt wurde das virtuelle Studio vom ebenfalls in der Hansestadt ansässigen „Holobay Kollektiv", das zur Kreation der virtuellen Welten die Game Engine Unreal anwendete.

Für Kameramann Daniel Schua und Regisseur Pascal Schröder ist diese Technik eine großartige Chance, Pionierarbeit für die deutsche Filmlandschaft zu leisten. Und damit befindet sich Hamburg einmal mehr an der Spitze einer Entwicklung, die nicht zuletzt wegen der Corona-Pandemie in Deutschland in den vergangenen 12 Monaten stark an Fahrt aufgenommen hat. In einem digitalen Showcase der für diesen Herbst beim Filmfest Hamburg geplanten Explorer Konferenz, zu der die Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein, der Produzentenverband und das Hamburger Filmfest gemeinsam einladen, stellte das Team von „The Social Experiment" der Branche den innovativen Workflow vor.

Virtual Production eröffnet erstmals eine funktionierende Schnittstelle zwischen Games Technologie und Filmherstellung, wodurch sich ein beträchtlicher Teil der VFX-Arbeiten aus der Postproduktion in die Vorproduktion verlagern. Rund ein Drittel der Szenen für den Thriller ließen sich so im Studio mit virtuellen Hintergründen realisieren. „Wir hatten für das Studio rund sechs Tage plus zwei weitere Tage für die Vorbereitung", berichtete Produzent Andreas Schlieter. Noch vor Drehbeginn Anfang Januar hatten sich Regie und DoP Daniel Schua mit den Holobay Artists von Gründer Dan Weigl ausgetauscht, um die neuen Möglichkeiten, aber auch die Grenzen auszuloten. Grundsätzlich ist zu beachten, in welchem Winkel und mit welchem Abstand die Kamera und die Schauspieler im Studioset vor der virtuellen LED Wand stehen, damit nicht Moiré-Effekte die Pixel-Struktur der Leinwand verraten. In einem kurzen Testdreh im Dezember wurden die Grundparameter erarbeitet, um nicht beim Dreh böse Überraschungen zu erleben. So war klar, dass die Schauspieler einen Mindestabstand von 1,50 Meter zur LED-Wand unbedingt einhalten mussten.

Ein Fokus liegt vor allem darauf, den Übergang zwischen digitaler LED-Wand und anlogen Studio-Set im Vordergrund unsichtbar zu gestalten. DoP Daniel Schua hat für die Szenen auf der Mondoberfläche sehr stark auf die Lichtgestaltung gesetzt,um die beiden Bildwelten unsichtbar mit einander zu verschmelzen. Was sich im Studiosetting als ein theaterhafter Eindruck vermittelt, muss in der Kamera zu einem homogenen Bildraum verschmelzen. Für einen starken Realismus-Effekt sorgt vor allem die Tracking Software, die die Kamera im Studio in Echtzeit trackt und die Paralaxxen-Verschiebung für die Hintergründe anpasst. „Fährt die Kamera um die Protagonisten im Studio herum, ist zu sehen, wie sich der Hintergrund verschiebt. Dadurch entsteht eine sehr reale räumlicher Eindruck, der die Zuschauer in die Szene hineinzieht", erläutert Daniel Schua. Forciert wird diese Wirkung noch durch den Einsatz eines ferngesteuerten Teleskopkrans, durch den sich die Kamera frei in der Studiokulisse bewegen lässt. Der Technocrane hilft zudem Fußspuren auf dem mit Kunstschnee- oder Wüstensand dekorierten Studioboden zu vermeiden, die die Kamera-Operator hinterlassen würden, wenn beim Drehen durch die Kulissen stapfen – Spuren, welche in der Post einige Retuschen nach sich gezogen hätten.

Die virtuellen Bilderwelten können entweder von Grund auf selbst mit der Game Engine Unreal fotorealistisch erstellt werden – möglich wäre sogar das Scannen und Bearbeiten von fotografierten Landschaften – oder aber sie werden aus bestehenden Libraries der Games Engine erworben und auf die eigenen Anforderungen hin angepasst. Eine komplette Erstellung der virtuellen Landschaften wäre aus Zeitgründen zu aufwendig gewesen. Also hat sich das Team um Regisseur Pascal Schröder vorhandene Templates ausgesucht und diese auf die eigenen Wünsche hin modellieren lassen. „Es ist wie bei einer Locationtour, bei der man sich bei Unreal die Welten aussucht und nach den eigenen Vorstellungen und Bedingungen gestalten lässt. Wir hatten so die Kontrolle etwa über den Sonnenstand, die Farbtemperaturen oder ob es diesig ist", erläutert Pascal Schröder. Auch farbliche Unterschiede zwischen dem in der Studiokulisse ausgestreuten Sand und dem virtuell generierten Sand, konnten im Color Matching ausgeglichen werden. Ein Setting mit längeren Dialogszenen in der Dämmerung mit Sonnenuntergang lassen sich im virtuellen Raum problemlos umsetzen.


Ist der Einsatz der LED-Welten und das Studiosetting exakt vorbereitet, lassen sich viele Bilder praktisch schon in der Kamera finalisieren, wodurch aufwendige Nachkorrekturen in der Postproduktion entfallen. Doch stößt auch diese Technologie an ihre Grenzen. Das beginnt schon damit, dass die echte Spielfläche der Schauspieler im Cinegate Studio auf 9 qm begrenzt bleiben musste. „Es ging in erster Linie darum, wie sich unsere Geschichte mit Mitteln der virtuellen Sets erzählen lässt und dafür wollten wir die Grenzen für unsere Produktion austesten", verdeutlicht Produzent Andreas Schlieter. Für kleinere Dialogszenen, die sich auf einer kleinen Fläche inszenieren lassen, bietet Virtual Production neue Möglichkeiten und kann sogar Vorteile bieten. Denn es entfallen Reisekosten, in der Studioumgebung herrscht eine perfekte Lichtkontrolle und der Aufwand in der Post minimiert sich. Doch aufwändige Actionsequenzen mit Fahraufnahmen, Trackingshots und Ultratotalen, in denen sich viele Protagonisten und Komparsen im Bild bewegen, wird man eher "on location" drehen.
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