Dem deutschen Film fehlt es an diversen Stimmen
10.08.2021 | Tatort-Regisseurin Mia Spengler zum Inclusion Rider

Wie schafft man es, die deutsche Filmlandschaft diverser zu gestalten? Regisseurin Mia Spengler hat in ihrem letzten Tatort mit einem Inclusion Rider gearbeitet, der genau das versucht. Ein wichtiger erster Schritt, weitere sollen folgen. Wie der Rider entstanden ist, wo es nach wie vor Probleme gibt und was all das für sie persönlich bedeutet, verrät sie in einem Interview.
Wann hast du das erste Mal von einem „Inclusion Rider" gehört?
Mia Spengler: Bei Frances McDormands Oscar-Rede im Jahr 2018 – so wie viele andere Menschen glaube ich auch.
Wie habt ihr den Inclusion Rider beim Tatort genau umgesetzt und wie funktioniert er?
Mia Spengler: Ein Inclusion Rider ist nichts anderes als eine Vertragsklausel die besagt, dass ich und viele meiner Kolleg*innen im Bereich Diversity und Inclusion nur noch zu bestimmten Bedingungen arbeiten. In dem Rider sind zum Beispiel bestimmte Bevölkerungsgruppen aufgezählt, die zu einem bestimmten Prozentsatz an der Produktion beteiligt sein müssen – hierzu zählen Frauen, People of Color, Personen des dritten Geschlechts, Menschen mit körperlicher oder geistiger Behinderung, LGBTQ+, Menschen die wegen ihres Geschlechts und ihrer geschlechtlichen und, oder kulturelleren Identität, ihrer Körperstatur, ihres sozioökonomischen Status oder ihres Alters diskriminiert werden.
Wenn diese Bedingungen nicht erfüllt werden, machen wir das Projekt nicht. Das ist natürlich eine extreme Notbremse, die bereits im Vorfeld zu sehr intensiven Verhandlungen führt. Der Inclusion Rider beim Tatort war im Endeffekt auch nur möglich, weil ich mit Wüste Film und Producerin Sophia Ayissi Nsegue zusammengearbeitet habe, die auf diesem Gebiet einfach unheimlich fit ist. Sie wusste genau, was ich da vorhabe und worum es geht, da sie selbst von dem Thema Rassismus betroffen ist. Dass Sophia als Producerin für das Projekt zuständig war, war für mich ein sehr wichtiger Faktor, den Tatort zu machen.

Wo gab es Probleme bei der Umsetzung?
Mia Spengler: Man muss aufpassen, dass der Rider nicht zu einer Auskunftspflicht wird und die entsprechenden Personen noch mehr diskriminiert werden. Viele Sachen sind durch die Produktionsfirma auch nur sehr schwer abzufragen.
Gibt es aktuell überhaupt genug Fachkräfte, um den Inclusion Rider zu erfüllen?
Mia Spengler: Nach wie vor fühlt sich leider kaum jemand für den Nachwuchs auf diesem Gebiet zuständig. Die Filmhochschulen sagen, sie bekommen nicht genug Bewerbungen, die Produktionsfirmen sagen, es gibt nicht genug Fachkräfte fürs Team. Und so dreht man sich im Kreis. Irgendwann müssen wir uns eben die Frage stellen, wie wir diese Probleme gemeinsam lösen können. Denn mit dem aktuellen Stand an Fachkräften in Deutschland kann man den Inclusion Rider kaum erfüllen. Die Leute sind einfach nicht da.

Woran liegt das?
Mia Spengler: Bestimmten Bevölkerungsgruppen wurde über Jahrzehnte die Tür zugehalten – das fängt bereits bei Praktikumsplätzen an. Ich hab selbst ein einjähriges Praktikum beim Film gemacht und dafür 150 Euro im Monat bekommen. Das konnte ich mir nur leisten, weil ich von meinen Eltern unterstützt wurde. Hätte ich diese Unterstützung nicht bekommen, wäre so ein Praktikum für mich niemals möglich gewesen. Ich hab während dieser Zeit jeden Tag bis zu 14 Stunden gearbeitet, das war ein harter Job. Und meine Eltern waren auch sehr gestresst von der Situation und fanden diese Berufswahl alles andere als toll. Frei nach dem Motto „Sie versaut sich ihr Leben und wir müssen auch noch dafür zahlen". (lacht)
Wenn man die Biografien vieler Menschen aus der Filmbranche liest, gab es meistens schon Elternteile oder Verwandte, die irgendetwas mit Film zu tun hatten. Und die Zugänge zum Film sind limitiert. Da hat man als jemand, der bisher gar nichts mit diesem Filmkosmos zu tun hatte, das Nachsehen. Praktikumsplätze werden häufig nicht öffentlich ausgeschrieben, sondern unter der Hand vergeben.
Wie kann der Inclusion Rider dabei helfen, Menschen verschiedener Bevölkerungsgruppen ans Set zu holen?
Mia Spengler: Der Inclusion Rider ist so formuliert, dass ein gewisser Prozentsatz erfüllt werden muss. Und für jede 5 Prozent Verfehlung muss ein Praktikumsplatz für die aufgezählten Bevölkerungsgruppen geschaffen werden, und zwar zu Mindestlohnkonditionen. So wollen wir Leuten helfen, die sich ein Praktikum sonst einfach nicht leisten können.

Bei welchen Gewerken war es denn besonders schwer, den Inclusion Rider für den Tatort zu erfüllen?
Mia Spengler: Es war in allen Gewerken richtig schwer. Selbst Frauen in bestimmten Bereichen zu finden, ist alles andere als einfach. Am allerschwersten ist es in den Bereichen Ton und Licht. Wir hatten beim Tatort aber eine Tonfrau.
Habt ihr euch an bestehenden Ridern orientiert?
Mia Spengler: Wir haben uns natürlich bei der BBC umgeschaut, auch wenn das alles nicht eins zu eins übertragbar ist. Und die MOIN Filmförderung hat mit ihrer Diversity Checklist ja ebenfalls schon vorgelegt, was für uns ein ganz guter Überblick war. An unserem Rider haben meine Agentin Gaby Scheld und die Anwältin Lioba Cremer ein gutes halbes Jahr gearbeitet, bis alles ausgehandelt war – jedoch nicht in Vollzeit. Aber wir hatten einfach ein tolles Team und der NDR ist dann ja am Ende auch mit eingestiegen.

Gab es auch thematische Gründe, warum du gerade bei diesem Tatort zum ersten Mal mit einem Inclusion Rider gearbeitet hast?
Mia Spengler: Da es um eine queer/feministische Wohngemeinschaft geht, hat es thematisch schon sehr gut gepasst. Ich hab das Corona-Jahres allerdings auch für mich genutzt um mich zu fragen, was mir wichtig ist und wo ich an diesem Punkt meiner Karriere hin will. Und für mich war nach diesem Jahr klar, dass ich mit dem Inclusion Rider arbeiten will und auch in Kauf nehme, dass bestimmte Arbeitskonstellationen dann nicht mehr zustande kommen. Aber das ist es mir wert.

Wie war denn eigentlich die Stimmung am Set. War alles wie immer?
Mia Spengler: Ich glaube, dass ist sehr von der Perspektive abhängig. Ich nehme das Set ganz anders wahr als jemand anderes aus dem Team – und ich bekomme natürlich auch nur bestimmte Sachen gespiegelt. Ich hab mich einfach total gefreut, dass wir so weit gekommen sind. Besonders die Zusammenarbeit mit Kamerafrau Zamarin Wahdat war wahnsinnig toll. Es war meine erste Zusammenarbeit im professionellen Bereich mit einer Kamerafrau, die auch in meinem Alter ist. Ich musste viele Kämpfe, die ich sonst als Kamera/Regiegespann führen musste, plötzlich nicht mehr führen. Wir haben auch schon ein neues gemeinsames Projekt in der Mache. Darüber hinaus hatten wir mit Gina Haller eine sehr starke Episoden-Hauptrolle. Außerdem gab es die Möglichkeit für Teammitglieder, Diskriminierungsvorfälle zu melden – und wir haben das Team dazu ermutigt, diese Möglichkeit auch zu nutzen. Da hat zu einigen sehr lehrreichen Begegnungen beigetragen. Perspektivisch sollte es einen Code of Conduct für Filmsets geben. Wir sind gerade auf der Suche nach Partnern, um einen solchen zu erarbeiten.

Was bedeutet der Inclusion Rider für dich persönlich?
Mia Spengler: Ich hatte immer das Gefühl, eine Art Alien-Position in der Branche zu haben. Ich konnte jedoch nie genau benennen, was der Auslöser dafür war. Mit dem Inclusion Rider wurden mir dann viele Dinge klarer. Ich hab in den letzten Jahren in mehreren Interviews gesagt, dass ich es immer noch kaum glauben kann, als Regisseurin am Set zu stehen. Und ich meinte das immer auf eine positive Art. Niemand in meiner Schullaufbahn oder aus meinem Umfeld hätte jemals gedacht, dass ich mal in diesem Beruf arbeiten würde – und ich habe es trotzdem geschafft. Darauf war ich erstmal stolz. Irgendwann wurde mir aber klar, dass es ein systemisches Problem ist. Für andere Menschen war es ganz selbstverständlich, am Set zu sein. Für mich nicht. Doch diese Selbstverständlichkeit ist extrem wichtig – gerade für den Filmnachwuchs. Dem deutschen Film fehlt es an diversen Stimmen, besonders jungen Women of Color. Es ist im Interesse der gesamten Branche, das zu ändern. Der Inclusion Rider ist hoffentlich ein Mini-Schritt auf einem langen Weg.
Sind nach dem Tatort Leute zu dir gekommen, die jetzt auch mit einem Inclusion Rider arbeiten wollen?
Mia Spengler: Auf jeden Fall. Und es dürfen gerne noch viel mehr kommen! (lacht) Ich bin aktuell mit vielen Kolleg*innen in Kontakt, die gerade anfangen, mit einem Inclusion Rider zu arbeiten. Und es entwickelt sich natürlich auch alles weiter, wir stehen ja gerade erst am Anfang. Wir brauchen jeden Geist, der daran mitdenken möchte.