
Die Liebe in Zeiten des Autonomieverlusts
29.09.2021 | „Ein großes Versprechen“ @Filmfest Hamburg

Am ersten Festivaltag nach der Eröffnung feiert das Spielfilm-Debüt „Ein großes Versprechen" der HFBK Hamburg-Absolventinnen Wendla Nölle (Regie) und Greta Lorez (Drehbuch) seine Deutschlandpremiere beim Filmfest Hamburg. Feinfühlig erzählt der Film von dem Ringen um Selbstbestimmtheit und einer großen Liebe im Spannungsfeld von Scham und Mut. Wir haben mit Wendla Nölle über den intimen Dreh und ihre Hauptdarsteller*innen gesprochen.
Der Film beginnt mit einer Kamerafahrt über die nackte Haut von Erik (Rolf Lassgård) und Juditha (Dagmar Manzel), den Hauptfiguren in deinem Film „Ein großes Versprechen". Intimität zwischen Menschen aus dieser Generation sieht man nicht oft auf der Leinwand. Warum habt ihr euch für diesen Einstieg entschieden?
Wendla Nölle: Dieses Entlangfilmen an der Haut transportiert etwas sehr Sinnliches, Intimes und sehr Nahes und entspricht meinem intuitiven Arbeiten. Juditha lebt schon lange mit ihrer Krankheit Multiple Sklerose, daher war es mir wichtig zu zeigen, dass trotz der Krankheit auch Intimität und Körperlichkeit ihren Raum finden. Die Szene macht zudem die Liebe der beiden spürbar und baut die Fallhöhe für den Film auf. Sie sind schon lange verheiratet, und in der kurzen erzählten Zeit muss man zuerst die große Liebe erfahren, um dann auch verstehen zu können, warum es so schwer für beide ist, zueinander zu finden. Deswegen werden die Zuschauer*innen zu Beginn des Films unmittelbar hineingeworfen.

Es gibt eine sehr berührende Sequenz, in der die Intimität und Zuneigung des Ehepaars mit der Scham und dem Autonomieverlust durch die Krankheit verschmilzt. Auf dem Weg zur ärztlichen Untersuchung, muss Erik an einer Ampel halten und seiner Frau Juditha dabei helfen am Seitenstreifen zu urinieren, während im Hintergrund die belebte Straße zu sehen ist. Erik hält seine Frau routiniert und gibt ihr einen Kuss auf den Kopf. Juditha ist beschämt und will nur noch nach Hause. Wendla Nölle: Blasenschwäche ist für MS-Patienten*innen ein sehr beunruhigender Teil des Krankheitsbildes und macht das Leben oft sehr schwer. Ich kenne das gut, da meine Mutter auch an MS erkrankt war. Wenn ich als Kind mit meiner Mutter in die Stadt ging, war es immer ganz wichtig zu wissen, wo die nächste Toilette war. Mit der Krankheit wird dieser so intime Bereich des Lebens plötzlich sehr öffentlich und damit auch sehr würdelos. So konnte ich sehr eindrücklich erzählen, warum sich Juditha der Welt mehr und mehr entzieht. Man will eben nicht auf der Straße sitzen und pinkeln.

Die Liebesgeschichte um Juditha (Dagmar Manzel) und Erik (Rolf Lassgård) beginnt mit einem Ende. Dem Ende von Eriks beruflicher Tätigkeit als Universitätsdozent und den Verheißungen der anstehenden Pensionierung: Endlich mehr Zeit füreinander, endlich als Paar eine neue Etappe beginnen. Jedoch schränkt Juditha ihre Krankheit Multiple Sklerose gerade jetzt deutlich mehr ein. Während Juditha verzweifelt um ihre Autonomie kämpft, flüchtet Erik vor dem raschen Voranschreiten von Judithas Krankheit in eigene Projekte.

Im Film sind wir sehr nah dran an den Figuren, es gibt wenig spürbare Lenkung der Sympathien und ein sehr offenes Erzählen.
Wendla Nölle: Die Dramaturgie bewegt sich in der Figurenentwicklung sehr elegant voran - ohne „Haudrauf". Greta Lorez, die das Drehbuch geschrieben hat, stellt die Fragen leise und ohne die Dinge auszuerzählen. Ich selbst komme aus dem Dokumentarfilm und wollte dem dokumentarischen, sehr zurückgenommenen Erzählen auch bei dieser Geschichte Raum geben. Wenn etwas wie zufällig passiert, wird der Zuschauer weniger gelenkt und darf mehr entdecken. So bekommt der Film etwas sehr Authentisches und Glaubhaftes. Das ist gerade bei der Erzählung dieser Geschichte sehr wichtig. Denn bei einem Leben und einer Beziehung mit einer Krankheit gibt es kein Richtig und kein Falsch – und leider auch nur wenig Lösungen und Antworten. Für mich war es von Anfang an sehr wichtig, für keine Seite Partei zu ergreifen und den Zuschauer*innen beide Figuren nahe zu bringen.

Wenn man so nah dran ist an seinen Figuren, hängt ja auch viel von der Leistung der Schauspieler*innen ab. Wendla Nölle: Ja, Rolf Lassgård und Dagmar Manzel hatten einen inneren Rhythmus, der war fantastisch, und sie haben es mir damit sehr leicht gemacht. Ohne Schauspieler*innen, die so authentisch spielen, könnte man nicht so erzählen. Dann müsste es der Schnitt richten und dann würde es doch wieder gewollter aussehen.
Wie bist du zu dieser Besetzung gekommen?
Wendla Nölle: Rolf Lassgård ist für mich einer der tollsten Schauspieler und ich wollte Erik von Anfang an mit ihm besetzen. Dagmar Manzel habe ich dann im Theater entdeckt und da hat sie mich wahnsinnig überzeugt. Sie hat die besondere Herausforderung dieser Rolle sofort erkannt und mit großer Begeisterung zugesagt. Beide im Übrigen trotz des insgesamt bescheidenen Budgets.
Es war allerdings gar nicht so einfach die beiden terminlich zusammenzubringen. Es blieb nur ein kleines Zeitfenster, den Film zu finanzieren, um nicht andere Schauspieler*innen zu besetzen oder erst in 15 Jahren zu drehen *lacht*. Deswegen war es so großartig, dass der Film dann durch die Nachwuchsförderung Nordlichter unterstützt wurde. So konnten wir vier Monate später direkt anfangen zu drehen.

Gedreht wurde neben dem schwedischen Malmö in Niedersachsen und Schleswig-Holstein, aber auch der Hamburger Hauptbahnhof ist in einer Sequenz zu sehen.
Wendla Nölle: Ich bin in Hamburg groß geworden, deswegen habe ich mir schon viele Motive in dieser Stadt angeschaut. Der Bahnhof in Hamburg mit seiner romantisch-dreckigen Anmutung stand schon lange auf meiner Wunschliste möglicher Drehorte. Das Hauptmotiv war allerdings das Wohnhaus des Paares – ein Haus, das viele verschiedene Bedingungen erfüllen musste, technischer und visueller Art. Zum Beispiel eine Treppe, die für Juditha unüberwindbar wird. Das passende Haus haben wir dann in Geesthacht in Schleswig-Holstein gefunden.

Wie waren die Dreharbeiten?
Wendla Nölle: Die Dreharbeiten waren sehr intensiv. Wir haben fast drei Wochen in dem Haus gedreht. Weil wir als Team immer alle in der Enge der Räume zusammenrücken mussten, war das ein sehr intimer, sehr persönlicher und sehr menschlicher Dreh. Wir sind wie da wie eine kleine Familie zusammengewachsen. Auf der anderen Seite hat die Geschichte auch etwas Klaustrophobisches, das hat man irgendwann auch als Crew gemerkt.

Und jetzt findet die Deutschlandpremiere auf dem Filmfest Hamburg statt – für Dich als gebürtige Hamburgerin ein Heimspiel? Wendla Nölle: Ja, Hamburg ist meine Heimat und die Filmförderung hier hat mich schon seit meinem Studium sehr unterstützt. Von daher bin ich sehr dankbar, dass mein Film auf dem Filmfest Hamburg gezeigt wird. Und es ist natürlich ein kleines Heimspiel mit allen Freundinnen und Freunden, der Familie, dem Cast und dem Team.
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