MOIN Filmförderung Hamburg Schlwesig-Holstein

Je früher wir an Bord sind, desto besser

26.01.2022 | Green Consultant Ingo Ehrlich

Das Bewusstsein für grünes Drehen wächst in der Filmbranche - und sie ist bereit, sich umzustellen. Auftraggeber, Sender und Förderungen erwarten dieses Umdenken inzwischen sogar. Das hat zu einem neuen Berufsbild geführt, dem Green Consulting. Wie eine solche Beratung für Firmen aus dem Filmbereich aussieht, darüber haben wir mit dem Green Consultant Ingo Ehrlich aus Lübeck gesprochen.

Ingo Ehrlich, ehemaliger Editor und Betreiber von Postproduktionsstudios in Köln und Berlin, bringt auch aus dem Setbereich einiges an Erfahrung und damit den Stallgeruch mit, den man braucht, um in der Branche ernst genommen zu werden. Auch in seinem Privatleben hat sich Ehrlich seit seiner Jugendzeit für Nachhaltigkeit und Ressourcenschutz eingesetzt. Gleich nach seiner Green Consulting-Ausbildung an der IHK in München hat er zusammen mit seiner Kollegin und Kamerafrau Maren Heyn gleich mehrere Beratungsaufträge übernommen, für eine Kinofilmproduktion sowie den Dreh eines Werbefilms. Zudem berät er derzeit zwei Produktionsfirmen und  ab dem neuen Jahr das Postproduktionsstudio Optical Art in Hamburg dabei, sich auch am Firmensitz grün und nachhaltig aufzustellen.

Viel grünes Einsparpotenzial: Technik bei Optical Art in Hamburg

„Bei der Beratung eines Unternehmens fange ich ganz bewusst erst einmal mit kleinen Dingen an, die sich leicht ändern lassen, um das Bewusstsein zu fördern", sagt Ehrlich. Ein erster Blick gilt den Strom- und Mobilfunkverträgen, der Wärmeversorgung und dem Serverbetrieb. Beim ersten Ecomapping-Rundgang durch die Räume werden Steckerleisten inspiziert, die ständig unter Strom sind und deren Geräte weiter im Standby-Modus laufen. Ausschalten oder elektronisch steuern, lautet hier die Vorgabe, wenn die Gerätschaft nicht genutzt wird. Bei einem Südfenster lässt sich auch eine Folie außen anbringen, anstatt ständig die Klimaanlage laufen zu lassen. „Ich habe bei meinem Rundgang ein Messgerät dabei und kann dadurch anschaulich vermitteln, was währenddessen sinnlos verbraucht wurde. Übers Geld kriegt man sie schließlich alle."

Aktuell hat er zusammen mit Maren Heyn die Kinoproduktion „Das Lehrerzimmer" (Regie: Ilker Çatak) der Münchner if productions beraten, die in Hamburg gefördert und gedreht worden ist. Dieser Film bringe die besten Voraussetzungen für eine gute CO2-Bilanz mit, da er nahezu ausschließlich an einem Motiv realisiert wurde und ein Festnetzanschluss mit Ökostrom genutzt werden konnte – die Ersparnis hier liegt bei 90 Prozent weniger Emission pro Kilowattstunde. Ein geringer Fuhrpark, der bewegt werden musste, keine verbrauchsintensiven und schädlichen Dieselgeneratoren, das senkt die Schadstoffemissionen effektiv. Doch um die Kriterien der MOIN Filmförderung zu erfüllen, galt es auch in den anderen Bereichen etwas zu ändern, so Ehrlich. Beim Catering holte sich die Produktion einen Dienstleister an Bord, der regionale Produkte zubereitete und vor allem auch vegetarische Mahlzeiten auf den Speiseplan setzte und damit auch eines der Kriterien der Förderung erfüllte.

Ehrlich hat sich im Vorfeld zum Dreh mit den Departments verständigt: „Je früher wir an Bord sind, desto besser. Denn dann können wir einiges bewirken." Wenn etwa eine Spanplatte für die Setdekoration gebraucht werde, sollte es möglichst eine FSC zertifizierte sein. Fallen dadurch mehr Kosten an als budgetiert, müsse nun geschaut werden, ob an anderer Stelle sich etwas einsparen lasse, etwa beim Licht oder über den Festnetzstrom, um diese Mehrkosten wieder herein zu holen. Da diese Produktion viel Tageslichtleuchten von außen setzte, wurden Kunstlichtlampen verwendet, die derzeit noch sehr schwer durch LED zu ersetzen seien, weiß Ehrlich. Wo es technisch und künstlerisch möglich war, wurde jedoch LED eingesetzt.

Bei einer Werbeproduktion war es der ausdrückliche Wunsch des Auftraggebers, nachhaltig zu drehen. Da die Aufnahmen an mehreren Orten in Slowenien geplant waren, musste genau auch in diesem Bereich angesetzt werden, um Emissionen wirklich zu reduzieren, denn die Umstellung im Catering hätte kaum zu nennenswerten CO2-Einsparungen geführt. Es gelang die Zahl der Anreisen per Flug stark zu verringern, entweder entfielen sie ganz oder es wurde mit dem Zug gereist. Und die Zahl der Drehorte vor Ort wurde von acht auf vier zurück gefahren. „Es konnten über 50 Prozent der Flugemissionen, über zehn Tonnen CO2, eingespart werden, allein dadurch, dass zehn Personen nicht zu den Drehorten geflogen sind, wie es ursprünglich geplant war."

Für die Erstellung der Bilanz mit dem CO2-Rechner ist es wichtig, dass Green Consultants möglichst noch vor Drehbeginn mit den Departments durchgehen, welche Belege und Daten gebraucht werden. Hilfreich dabei wirke sich aus, dass Equipmentverleiher wie Autovermieter Berechnungen anbieten, wie hoch der wahrscheinliche CO2-Ausstoß bei entsprechender Nutzung von Fahrzeugen und Generatoren ausfällt.

Ingo Ehrlich hat festgestellt, dass das Bewusstsein für grünes Drehen in der Produktionsbranche zunimmt, tendenziell stärker bei der jüngeren Generation. Aber auch die älteren und erfahrenen Filmschaffenden sind durch die Vorgaben von Förderungen und Auftraggebern wie beispielsweise durch die Brancheninitiative Green Shooting und dem Ökolabel Green Motion mit dem Thema Nachhaltigkeit inzwischen stärker konfrontiert. Green Shooting, ein Bündnis aus Sendern, Produktionsunternehmen und VoD-Dienstleistern setzt sich für ökologische Mindeststandards ein, die seit dem 1. Januar 2022 gelten. Wer von den 21 Kriterien 18 Vorgaben erfüllt, erhält das Label Green Motion, das im Abspann zu sehen sein wird. Diese Initiativen und Vorgaben werden der nötigen Transformation in der Produktion einen kräftigen Schub verleihen, ist Ehrlich überzeugt, weil dann auch der Markt die gestiegene Nachfrage nach dem grünem Equipment besser bedienen muss, als es noch derzeit der Fall ist. Dadurch werden auch die Preise fallen.

Ingo Ehrlich lässt seine Expertise auch dem Bereich Drehbuch zugute kommen, dem so genannten Green Storytelling. „Darunter zu verstehen ist nicht ein Pflichtenrucksack, der die kreative Freiheit einschränkt", bekräftigt Ehrlich. Aber man kann bei der Evaluierung des Drehbuches auf bestimmte Dinge hinsichtlich des Energieaufwandes hinweisen, der allein dadurch entsteht, dass die Szenen so umgesetzt werden, wie sie geschrieben sind. Viele Nachtszenen bedeuten auf jeden Fall starken Lichtaufwand, das müsse man zumindest hinterfragen. Bei zahlreichen Schauplätzen (z.B. ferne Länder) sollte man darüber nachdenken, ob das eine oder andere verzichtbar ist oder aber ob sie sich durch Look-alike-Drehorte ersetzen lassen. Beispielsweise ein Hotel in Singapur lasse sich unter Umständen auch im Schwarzwald drehen, weil dort vielleicht ein ähnliches gebaut wurde. Alternativ lässt es sich mit innovativer Technik wie VFX oder im virtuelle Studio realisieren. Aufwendige Reisen, vor allem Flugreisen, sind der emissionsstärkste Faktor. Aber auch im digitalen Bereich für Servernutzung und Renderingkapazitäten - etwa bei aufwendigen 3D-Aniamtionen - entsteht teils ein großer Energiebedarf. Dazu Ehrlich: „Wichtig ist, dass Green Consultants frühzeitig gefragt werden. Denn dann lassen sich alle Anforderungen und ihre Alternativen durchrechnen und die beste Lösung im Sinne des geringsten Fußabdrucks finden."

Credits: Porträt: Matthias Oertel
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