MOIN Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein

Wenn Bärte ganze Geschichten erzählen

07.03.2023 | "Triangle of Sadness"-Maskenbild aus Hamburg

Szene mit Woody Harrelson.
Stefanie Gredig musste sich in "Triangle of Sadness" auch um den zerzausten Look der gestrandeten Passagier*innen kümmern

Die Hamburger Maskenbildnerin Stefanie Gredig war in der Oscar-nominierten und von MOIN geförderten Satire „Triangle of Sadness" für das Hair- und Make-up-Design verantwortlich. Der Film könnte am Wochenende gleich mehrere Oscars gewinnen. Gredigs Karriere begann mit einer Handwerksausbildung in der Eifel.

Akribisch bereitet sich Stefanie Gredig auf Jobgespräche vor, studiert das Drehbuch oder Booklet, macht sich Gedanken zum Make-up im kleinsten Detail, entwirft für sich die Figuren. Über die Regisseur*innen informiert sie sich in der Regel nicht so genau, um offen in solche Gespräche zu gehen. Manchmal vielleicht auch, um sich vor der eigenen Aufregung zu schützen. Denn oftmals können so eine Filmografie und die Liste der Auszeichnungen ganz schön einschüchtern, wie bei Ruben Östlund. Der hatte sie 2019 um ein Kennenlerngespräch gebeten, für das Maskenbild der Satire „Triangle of Sadness". Die ist bereits im vergangenen Jahr in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet worden. Nun geht sie am 12. März in gleich drei Kategorien ins Rennen um einen Oscar. Das Maskenbild ist zwar nicht nominiert, doch Stefanie Gredig ist dafür schon im Januar mit dem schwedischen Filmpreis Guldbaggen ausgezeichnet worden. Definitiv ein Höhepunkt ihrer bisherigen beruflichen Karriere.

Auf einem Kreuzfahrtschiff nimmt die groteske Geschichte von "Triangle of Sadness" ihren Lauf

Die begann für die Frau, die seit fast 30 Jahre in Hamburg lebt, in einem kleinen Ort in der Eifel. „Als es während der Schulzeit darum ging, welchen Beruf ich erlernen möchte, schwankte ich zwischen Maskenbildnerin und Fotografin", erinnert sich die heute 55-Jährige. Es wurde Maskenbildnerin und da damals eine Friseur*innen-Lehre Voraussetzung für die Ausbildung war, bewarb sie sich im örtlichen Salon, Inhabergeführt, auf der einen Seite für Herren, auf der anderen für die Damen. Da hieß es: Waschen, Schneiden, Legen und ganz viel Dauerwelle. „Damals fand ich es nicht so toll, der weiblichen meist älteren Kundschaft Lockenwickler ins Haar zu drehen. Heute bin ich für meine Fingerfertigkeit und Sicherheit im Umgang mit Lockenwicklern und überhaupt mit Haaren sehr dankbar, da ich zu 70 Prozent mit Haaren beschäftigt bin", sagt sie.

Die Hamburger Maskenbildnerin Stefanie Gredig. Fotocredits: Verena Felder

Ein paar Jahre blieb Gredig nach ihrer Ausbildung noch in dem Salon, arbeitete im Sommer bei den Burgfestspielen Mayen und schrieb etwa 50 Bewerbungen, bis sie einen Ausbildungsplatz als Maskenbildnerin am Landestheater Detmold bekam, ein Drei-Sparten-Haus, das viele Gastspiele absolvierte. Schon damals lernte sie, an den unmöglichsten Orten und in den unmöglichsten Situationen zu arbeiten. Ebenfalls eine Erfahrung, die ihr später beim Film noch sehr nützlich werden sollte.

Nach Detmold führte sie der Weg zu „Cats" im Hamburger Operettenhaus. Dann trafen sich Zufall und Glück und sie bekam ihre ersten Jobs beim Film, als Zusatzmaske bei diversen in Hamburg produzierten TV Filmen. „No Sex!", eine ZDF-Produktion, war 1999 ihr erster Fernsehfilm, den sie ganz betreute. Sie schminkte und frisierte bei „Adelheid und ihre Mörder" mit Evelyn Hamann und betreute Wolfgang Stumph als Wilfried Stubbe, sie war Maskenbildnerin bei „Es gilt das gesprochene Wort" und bei „Curveball" und zuletzt unter anderem bei „Wir sind dann wohl die Angehörigen". Dazwischen und zwar ungefähr 70 Drehtage arbeitete sie in Schweden und Griechenland für „Triangle of Sadness", den Film, den auch die MOIN Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein mit 230.000 Euro unterstützte.

In Cannes wurde "Triangle of Sadness" mit der goldenen Palme ausgezeichnet

„Als ich das Booklet bekam, wollte ich unbedingt dabei sein, weil es einfach eine total gute Story ist und der Film so komplex", sagt Gredig begeistert. Empfehlungen unter anderem von der Hamburger Produktionsfirma Tamtam hatten sie für den Film ins Spiel gebracht. Für Gredig eine Herausforderung, die sie so sehr mag. Denn für sie gilt es, eine Maske zu erschaffen, die sich in die Geschichten fügt, die Geschichten trägt, ohne dass sie auffällt, ohne die aber etwas nicht stimmen würde. Da sind zum Beispiel die dreckigen Fingernägel und fettig bis verfilzten Haare, die Besatzung und Passagiere nach dem Kentern des Luxuskreuzfahrers und Stranden auf einer einsamen Insel in „Triangle of Sadness" haben und für die die Hamburger Maskenbildnerin sorgen musste. Oder die Mückenstiche, die das Gesicht der wunderschönen, erfolgreichen Influencerin Yaya (Charibi Dean Kriek) übersäen und somit von der Beschädigung der schönen Fassade erzählen. Oder der Karl-Marx-Bart, der ausgerechnet dem russischen Oligarche Dimitry (Zlatko Buric) wächst, Details, die die Geschichte untermalen, Facetten subtil verstärken. Selbst die Nagellack-Farbe und das Design wählt Gredig sorgsam aus. „Das muss auch noch passen, wenn ein Film teils erst mehrere Jahre später nach der Entstehung in die Kinos kommt", erzählt sie. Bei „Triangle of Sadness" war dafür allerdings eigens eine Naildesignerin zuständig, die zu dem fast zehnköpfigen Maskenteam gehörte.

Auf all diese Details bereitet sich Gredig Wochen lang sehr genau vor, studiert das Drehbuch, ergründet die Figuren, macht in ihrem kleinen Atelier im Portugiesenviertel Maskenproben, knüpft Perücken, fertigt Bärte. „Kreative Entwicklung" nennt sie diese Vorbereitung, die neben dem notwendigen Handwerk zu jedem Film dazu gehört. Denn natürlich ist das Maskenbild neben dem kreativen Prozess auch ein Handwerk, das erlernt und ständig verfeinert und weiterentwickelt werden muss. „Bei ‚Adelheid und ihre Mörder' wurde noch mit Clown-Weiß geschminkt, weil das Licht viel extremer war. Allein durch die digitale Kameratechnik haben sich die Anforderungen extrem gewandelt", sagt Gredig. Manche Fertigkeiten, so sagt sie, stürben langsam sogar aus. Sie selbst hat gerade erst wieder einen Workshop zu „Bart aus der Hand kleben" besucht, denn mit Bärten beschäftigt sie sich derzeit intensiv. Sie steckt in den Vorbereitungen zu einem von der MOIN Filmförderung unterstützen und von Tamtam co-produzierten Kinofilm, in dem sich ein junger Däne dem IS anschließt. „Da muss ich geknüpfte Bärte kleben oder auch flocken", erklärt Gredig.

Auch bei Ilker Cataks "Es gilt das gesprochene Wort" übernahm Stefanie Gredig das Maskenbild

Schmutz, Blut, das Rauhe, das gefällt und fordert Gredig, auch weil all das mehr Gestaltungsmöglichkeiten bietet als ein natürliches Tages-Make-up, Fantasie und Kreativität erfordert. Ihr Traum ist es, einmal mit dem Spanier Pedro Almodóvar zu arbeiten. „Seine Filme sind toll, er ist toll, seine Darstellerinnen und Darsteller sind toll und die Frisuren sind immer toll", schwärmt sie. Doch nun erstmal Bärte für IS-Kämpfer und natürlich die Oscar-Verleihung in Hollywood.

Credits: Stills: Alamode Cannes: Kurt Krieger
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