MOIN Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein

Eine Hymne an das Leben und das Alter

27.09.2023 | „Heaven can wait" beim Filmfest Hamburg

Mit vollem Körpereinsatz: Chorleiter Jan-Christof Scheibe mit Band und dem "Heaven can wait"-Chor

Der Hamburger Filmemacher Sven Halfar hat schon einige Dokumentationen über Musiker und Bands gedreht. Mit „Heaven can wait" erzählt er jedoch nicht allein die Geschichte eines außergewöhnlichen Chores. Er wirft einen ungewöhnlichen Blick auf eine Generation, die jeden Tag des Lebens zu genießen weiß. Der Film feierte seine Hamburg-Premiere beim Filmfest Hamburg und kommt am 12. Oktober in die deutschen Kinos.

Fast inflationär scheinen Filme über Chöre, die Kraft des gemeinsamen Singens und Musizierens, die Entdeckung der eigenen Musikalität und der damit verbundenen Befreiung in den vergangenen Jahren in die Kinos gekommen zu sein – dokumentarische wie fiktionale. Auch der Hamburger Sven Halfar porträtiert in „Heaven can wait – Wir leben jetzt" einen Laienchor von Ü-70-Jährigen. Und doch erzählt er darin nicht schlicht die Geschichte dieses schon an sich außergewöhnlichen Chores. Vielmehr porträtiert er viele einzelne Schicksale, die als Relief das Bild dieses Chores ergeben und zugleich das einer ganzen Generation.

Joanne (mit Mikro) und die anderen Chor-Mitglieder performen alte und neue Songs

Da ist zum Beispiel die 84-jährige Ingrid. Ihr ganzes Leben war stets Pflichterfüllung, als Tochter, als Ehefrau, als Mutter und später dann wieder als Tochter. Zeit und Raum für Gefühle gab es bei ihr nie. Angespannt und in sich gefangen, stets konzentriert wirkt diese Frau. Und doch blüht sie bei den Chorproben wie auf der Bühne auf. „Ich möchte nichts mehr müssen", sagt sie an einer Stelle. Es ist ein Gefühl, das wohl viele Menschen und zwar jeden Alters nachempfinden können. Oder die 79-jährige Moni, die immer selbstbestimmt gelebt hat, sich als Meeresbiologin in einer männerdominierten Welt behauptete und deren liebstes Frühstück aus Zigaretten und Kaffee besteht. Dann bricht sie sich den Arm. Plötzlich hat sie Angst vor dem Alleinsein, hat Angst vor der eigenen Gebrechlichkeit und verliert doch nicht den Mut. Und da ist der Kapitän Volker, der die Liebe, tiefe Emotionen erst durchs Singen entdeckte oder Diet, der das Singen als seine Therapie betrachtet.

Blick in den Backstagebereich

Sven Halfar, der schon Dokus über Peter Maffay und die in der DDR gegründete Rockband Silly drehte, kommt sehr nah ran an seine Protagonist*innen. Er zeigt keine Interview-Sequenzen, in denen er Lebensstationen abfragt, er begleitet sie, lässt sie erzählen. Einige der Szenen haben die Chrorsänger*innen selbst zu Hause gedreht, Corona geschuldet. Doch es scheint, dass sie noch entspannter, ehrlicher erzählen und agieren.

Sven Halfar (vordere Reihe Mitte), Produzent Sebastian Weyland (vordere Reihe rechts) und der Chor bei der Mittsommerparty der MOIN Filmförderung

Zufällig war Halfar auf den Chor gestoßen. Ein Freund, dessen Vater dort singt, hatte ihn mit zu einem Konzert ins St. Pauli Theater genommen. „Ich war vom ersten Ton an überrascht von der Energie, die von diesen Menschen ausgeht. Da war sofort eine emotionale Verbindung, die ich hinterfragen wollte", erinnert er sich. Das war vor mehr als drei Jahren. Zunächst ohne Konzept und Finanzierung drehte er los. „Als ich das erste Mal in die Welt der Sängerinnen und Sänger eintauchte, und erste situative Szenen drehte, fragten mich viele, was das denn nun werden solle. Ich wusste es selbst nicht so genau. Ich hatte aber gleich das Gefühl, dass hier etwas Einzigartiges entstehen könnte", erzählt Halfar, der einst an der Hamburger Filmhochschule studierte, heute Hamburg Media School. Also ließ er sich und seinen Protagonist*innen Zeit. „Man braucht als Dokumentarfilmer ein Gefühl für Menschen, muss ihnen Raum geben, damit sie sich öffnen, sie ernst nehmen und auf keinen Fall vorführen."

Chorleiter Jan-Christof und Joane bei den Proben

Das gelingt Halfar ganz großartig. Er zeigt Menschen, die in sich ruhen, versöhnlich auf das Leben, auf das Alter, den Tod blicken. Nicht nur einmal fällt der Satz, dass das Alter doch nur Vorteile habe und man nimmt es ihnen unbedingt ab. „Es gibt eine Vergangenheit und es gibt eine Zukunft, aber was, wenn die Zukunft nicht kommt? Was bleibt ist nur jetzt. Was ich jetzt tue, tue ich jetzt", sagte die 83-jährige Joanne. Es ist eine Lebenseinstellung, die alle Porträtierten teilen, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung. „Sie alle leben sehr viel intensiver, weil sie wissen, dass ihre Zeit endlich ist", hat auch Halfar festgestellt.

Behind the Scene: Die Chormitglieder im Privatleben

„Heaven can wait" ist kein plumper Mutmachfilm für ältere Menschen, sondern das Porträt einer Generation, die nur selten gelernt hat, Gefühle zu zeigen, den eigenen Bedürfnissen Raum zu geben. Er feiert das Leben, ohne das Leiden auszusparen. Es ist eine Hymne an das Alter, ohne sich jemals anzubiedern. Und so ist Halfars Film auch als gesellschaftsrelevanter Beitrag zu verstehen: Jugend und Jugendlichkeit ist nicht das Maß aller Dinge.

Bei der Filmkunstmesse Leipzig erhielt die Dokumentation Mitte September den Publikumspreis. Es ist ein klares Zeichen dafür, dass sie nicht nur verschiedene Generationen anspricht, sondern auch verbindet, die Seelen berührt und so hoffnungsfroh stimmt. „Ich wollte alte Menschen nicht als bemitleidenswert darstellen, sondern als selbstbewusst und lebensfroh, jeden Tag genießend – man ist nie zu alt, um seine Träume zu leben", sagt Halfar. Es ist ihm gelungen.

"Heaven can wait" startet am 12. Oktober in den deutschen Kinos.

Credits: Mindjazz Pictures Foto Mittsommerparty: Andre Mischke
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