Die Totengräber von Dschibuti
07.06.2021 | „The Gravedigger’s Wife"
Was für ein Start: Mit seinem Langfilmdebüt „The Gravedigger's Wife" hat der finnische Filmemacher Khadar Ahmed direkt den Sprung nach Cannes geschafft – der Film feierte im Juli seine Weltpremiere bei der International Critics' Week und ist jetzt beim Filmfest Hamburg zu sehen. Wir haben mit dem Regisseur und Drehbuchautor über die ungewöhnliche Geschichte, den Dreh mit Laiendarsteller*innen in Dschibuti und die Arbeit in Hamburg gesprochen.
Wie bist du auf die Geschichte von „The Gravedigger's Wife" gekommen?
Khadar Ahmed: Durch ein Gespräch mit meinem Bruder. Wir waren gemeinsam auf einer Familientrauerfeier. Mein Bruder fragte mich dann ob ich wüsste, wie lang es in Somalia dauert, bis jemand beerdigt wird, nachdem er gestorben ist. Ich hatte keine Ahnung, da ich mit 16 nach Finnland ausgewandert bin – dort kann es schonmal gut zwei Wochen dauern. Er erzählte mir, dass es in Somalia lediglich ein paar Stunden sind. Es gibt dort immer eine Gruppe von Totengräbern vor dem Krankenhaus, die nur darauf warten, dass jemand stirbt. Dann erinnerte ich mich an diese Leute vor den Krankenhäusern – ich hatte sie schon oft gesehen, ihnen jedoch keine Beachtung geschenkt. Aus dem Gespräch entwickelte sich dann langsam die Geschichte des Films. Das war im Sommer 2011. Ich habe alleine mit der Arbeit am Drehbuch begonnen und wollte auch Regie führen, da jemand anderes nur schwer nachvollziehen kann, wie es in Somalia zugeht. Weil ich zu der Zeit jedoch noch keine Erfahrung als Regisseur hatte, legte ich das Drehbuch irgendwann wieder zur Seite. Ich wollte es erst verfilmen, wenn ich etwas erfahrener war. Nach 2011 hab ich mich dann also größtenteils anderen Projekten gewidmet.
Dann wurde das Drehbuch 2015 für die Cannes Cinefondation Residence ausgewählt und du hast die Arbeit wieder aufgenommen?
Khadar Ahmed: Genau, ich dachte, es wäre an der Zeit mit der Arbeit an dem Buch weiterzumachen. Also habe ich es eingeschickt und wurde ausgewählt. Die Arbeit fand in einem riesigen Gebäude in Paris statt, fast schon ein Palast. Sie luden sechs junge Regisseur*innen aus verschiedenen Ländern ein, die dort an ihrem ersten oder zweiten Spielfilm arbeiten konnten. Man bekommt jeden Monat Geld und hat außerdem eine Jahreskarte fürs Kino. Und wer will, erhält natürlich Feedback zu seiner Arbeit. Ein weiterer Vorteil: Wenn man in dem Programm ist, ist es deutlich einfacher, eine Finanzierung für sein Projekt zu bekommen.
Was ist für dich der größte Unterschied zwischen der Arbeit an einem Kurzfilm und einem Langfilm?
Khadar Ahmed: Der einzige Unterschied für mich war tatsächlich die Zeit. (lacht) Ich habe für " The Gravedigger's Wife" mit dem gleichen Team gearbeitet, mit dem ich auch schon vorher einen Großteil meiner Kurzfilmprojekte realisiert habe. Es fühlte sich also kaum anders an. Und wir hatten trotz allem einen engen Zeitplan mit gerade einmal 21 Drehtagen. Wir haben nur mit Laiendarstellern aus Dschibuti gedreht, wo der Film entstanden ist. Das war etwas verrückt, denn es gab kaum Zeit für mehrere Takes, falls mal etwas nicht geklappt hat. Eine echte Herausforderung.
Wie lief das Casting für die Laiendarsteller*innen?
Khadar Ahmed: Ich bin auf der Straße in Dschibuti quasi jedem hinterhergelaufen, den ich interessant fand und hab gefragt, ob sie bei meinem Film mitmachen wollen. Die meisten der Leute hatten noch nie vor einer Kamera gestanden. Viele sind dann am vereinbarten Tag auch gar nicht zum Set gekommen, so dass wir dazu übergegangen sind, sie etwa drei Stunden vorher zu Hause abzuholen.
Wie war es, in Dschibuti zu drehen?
Khadar Ahmed: Wir waren auf das Schlimmste vorbereitet – aber es lief wirklich sehr gut. Wir hatten natürlich immer ein großes Team aus zwölf Sicherheitsleuten um uns herum, da man mit einer Filmcrew schon sehr auffällt. Wir haben uns jedoch extra für Dschibuti entschieden, da es im Nachbarland Somalia deutlich unsicherer ist.
Der Film wurde in Hamburg geschnitten – wie lief die Arbeit?
Khadar Ahmed: Es kann schon eine große Herausforderung sein, wenn man mit einem Editor zusammenarbeitet, den man bisher aus keinem anderen Projekt kennt. In diesem Fall hatte ich jedoch das große Glück, mit Sébastien Thümler zusammenarbeiten zu können. Er hat viel kreativen Input zum Film beigesteuert. Ohne ihn wäre der ganze Film ein anderer geworden. Ich hätte mir wirklich keinen besseren Editor wünschen können – ich hoffe, dass wir auch in Zukunft zusammenarbeiten werden.
Welchen Look habt ihr dem Film bei The Post Republic in Hamburg gegeben?
Khadar Ahmed: Wir haben beim Grading verschiedene Dinge ausprobiert, ein wirklich spannender Prozess. Aber da es im Kern eine poetische Liebesgeschichte ist, soll der Film auch in warmen Farben gehalten sein.
Gibt es einen roten Faden, der sich durch deine Filme hindurchzieht?
Khadar Ahmed: Ich schreibe immer über Charaktere, die ich kenne, an denen ich dicht dran bin. Es ist mir wichtig, dass ich bei meinen Filmen immer People of Colour in den Hauptrollen habe, um ihre Geschichten auf der großen Leinwand zu zeigen.
Wie war es, als du erfahren hast, dass dein Film in Cannes 2021 bei der International Critics' Week als einer von sieben Filmen laufen wird?
Khadar Ahmed: Ich dachte zuerst, es wäre ein Scherz, da ich die Nachricht Anfang April bekommen habe. Aber auch danach hat es noch lange gedauert, bis ich es realisiert hatte. Alles was ich weiß, hab ich mir selbst beigebracht, ich war nie auf einer Filmhochschule. Und jetzt in Cannes mit meinem ersten Langfilm als Regisseur zu laufen ist wirklich großartig.
Und wie geht es jetzt weiter?
Khadar Ahmed: Ich arbeite aktuell an einem neuen Drehbuch – da kann ich jedoch noch nichts verraten. Durch „The Grave Digger's Wife" ist mir allerdings klar geworden, dass ich meine Drehbücher zukünftig selbst verfilmen will. Ich bin am dichtesten an der Story und den Charakteren dran, kenne ihre Lebensrealität. Das möchte ich in Zukunft nicht mehr aus der Hand geben.