MOIN Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein

Skurrile Geschichten vom Deich

03.01.2018 | Neue Netflixserie aus Schleswig-Holstein

Von der Großstadt aufs Dorf: Die Deichbullen sind noch nicht ganz warm geworden mit Kollmar

Der schleswig-holsteinische Regisseur Michael Söth hat mit seiner Serie Deichbullen gerade das geschafft, wovon viele Filmemacher träumen – seit Dezember 2017 läuft die etwas schräge Geschichte um zwei von Hamburg nach Kollmar versetzte Polizisten auf Netflix. Wir haben mit Söth über entschleunigtes Fernsehen, das kleine Dörfchen Kollmar und den nicht ganz einfachen Weg von einer Webserie zu Netflix gesprochen

Die Serie lebt von dem erfrischenden Zusammenspiel und den etwas schnoddrigen Dialogen deiner Hauptdarsteller. Wie hast du deine beiden Deichbullen gefunden?

2014 hab ich Reverend Christian Dabeler und René Chambalu in dem Film Krasser Move gesehen, in dem sie auch schon zusammen gespielt hatten. Da hab ich gleich gesagt: "Das sind die Deichbullen!". Immer, wenn die beiden einen Auftritt hatten, hat das Publikum gelacht. Die stachen echt heraus, auch wenn sie keine ausgebildeten Schauspieler sind.

Inwieweit verändert das die Arbeit am Set?

Mein Regieauftrag bestand eher darin, darauf zu achten, dass die beiden die Linie nicht verlieren und in ihren Rollen bleiben. Die Dialoge sind größtenteils improvisiert – und das kommt auch wesentlich besser und authentischer rüber. Die beiden spielen ihre Rollen so, wie sie glauben, sie spielen zu müssen. Im echten Leben ist Reverend Musiker und Autor, René hatte lange Zeit nen Laden auf dem Kiez in Hamburg. Die Rollen der etwas abgehalfterten, rauchenden und trinkenden Hamburger Polizisten passen also perfekt.

Im Jahr 2014 hat sich zuerst kaum jemand für das Konzept der Deichbullen, die ursprünglich als Film konzipiert waren, interessiert – wie ging es dann weiter?

Nachdem keine Produktionsfirmen und Sender mit einsteigen wollte und es auch keine Förderung gab, haben wir gesagt: wir machen es trotzdem – und zwar als Webserie. Wir haben einfach an das Projekt geglaubt. Weder Cast noch Crew bekamen Geld und wir haben gut zwei Wochen lang die erste Staffel mit zehn Folgen gedreht, die jeweils fünf Minuten lang waren. Dann wurde alles bei YouTube hochgeladen und es lief total gut. Die erste Folge hatte innerhalb von 24 Stunden rund 15.000 Klicks. Zwei Wochen nach der Veröffentlichung haben wir beim Webfest in Berlin den Special-Preis gewonnen und liefen ab da bei Watchever. 2015 waren wir in Frankreich beste Webserie im Bereich Comedy. Sogar auf den Bahamas haben wir nen Preis gewonnen. Nur in Deutschland konnte man lange nichts mit dem Humor der Deichbullen anfangen.

Trailer Deichbullen

Was ist die Herausforderung, wenn man für eine Webserie nur 5 Minuten pro Folge zur Verfügung hat?

Das war schon komisch. Ich hab bisher ja nur Langfilme gemacht, nicht mal Kurzfilme. Beim Langfilm arbeitet man dramaturgisch ganz anders. Man hat bei einer Serie einfach viel mehr Zeit und muss sich hin und wieder bremsen, um Dinge nicht zu schnell aufzulösen. Und das schlimmste daran ist, dass man ja gar nicht weiß, wie viele Staffeln am Ende produziert werden. Als Filmemacher hast du natürlich immer das Bedürfnis, eine Geschichte zuende zu erzählen. Eine Serie erfordert eine ganz andere Arbeitsweise - ich hab da auch täglich dazugelernt. In den Drehbüchern kam ich mit der Zeit immer super hin, doch im Schnitt klappte es manchmal hinten und vorne nicht. Und so ist eine Deichbullen-Folge dann auf einmal viel länger oder kürzer, als man sich das ursprünglich vorgestellt hatte. Dann nimmt man ein Stück von einer anderen Folge hinzu oder weg – und plötzlich haut es dramaturgisch nicht mehr hin. Es ist schon eine eigene Kunst, Serien zu machen.

Hättet ihr gedacht, dass die Deichbullen als Webserie so durch die Decke gehen?

Eher gehofft. Die Idee war eigentlich recht schnell, dass wir auf Web-Festivals gehen. Da konnten wir dann ja auch ziemlich schnell ein paar Preise einsammeln und den Watchever-Deal eintüten. Watchever ist nur leider irgendwann Pleite gegangen. Um weitermachen zu können, haben wir ein Crowdfunding gestarten. Auch über Product Placement haben wir's versucht. Doch man hat sehr schnell gemerkt, dass die Firmen satt sind und nicht mitziehen. Also standen wir irgendwann wieder auf Null und das Projekt war kurz vorm Sterben. Anfang 2017 kam dann der Anruf von Studio Hamburg Enterprises, die einsteigen wollten und an das Projekt geglaubt haben. Das war unsere Rettung. Ab da ging alles ganz schnell und wir haben die erste Staffel noch im Mai gedreht. Wobei wir die ersten zwei Folgen ja bereits hatten – die haben wir nämlich aus den Fünfminütern der Webserie zusammengeschnitten.

NDR-Interview mit Michael Söth

Wie war es für dich, in dem kleinen schleswig-holsteinischen Dorf Kollmar zu drehen?

Von den ersten Folgen hatten wir eine Premiere in Kollmar. Es gibt eine Szene, bei der die beiden Deichbullen im Auto sitzen und sagen „Mein Gott, waren das hässliche Menschen". Ich hatte vor der Premiere richtig Angst, da ja fast nur Leute aus Kollmar da waren. Die Kollmaraner konnten jedoch sehr gut über sich selbst lachen und mir ist ein Stein vom Herzen gefallen. Das ganze Dorf hat so ein interessantes Eigenleben, dass eigentlich alleine das schon einen Film wert wäre.


Noch eine kurze Randnotiz: Der NDR hat bei der ersten Staffel eine Nordstory über mich gemacht und den Dreh etwas begleitet. Gemeinsam mit dem NDR-Team bin ich dann nach einem Jahr zum ersten Mal wieder nach Kollmar gekommen. Kaum aus dem Auto ausgestiegen, wurde ich gleich von mehreren Leuten angesprochen, wann denn die Deichbullen weitergedreht werden und ob sie mit dabei sein könnten. Der NDR-Redakteur hat gedacht, ich will ihn verarschen und die sind alle gekauft. Doch die Leute haben einfach Bock drauf. Es sind auch in den Szenen immer mal wieder Bewohner aus Kollmar zu sehen. Es gibt beispielsweise einen Einbruch auf einem Schweinehof. Und der Bauer, der seinen Hof zur Verfügung gestellt hat, wollte auch direkt das Opfer spielen – und das hat er sogar richtig gut hinbekommen.

Was macht für dich Schleswig-Holstein als Drehort aus?

Schleswig-Holstein bietet alles für eine gute Geschichte – und es lenkt nichts ab. Das hört sich jetzt vielleicht etwas komisch an. Aber ich bin kein Freund von Großstadtfilmen mit unzähligen Gebäuden, Autos und Menschen, da herrscht immer eine gewisse Grundlautstärke. Schleswig-Holstein ist da einfach gemächlicher – selbst größere Städte wie Kiel.

Deichking, Bauernfrühstück, Deichbullen – du hast dich in deinen Filmen- und Serien dem Landleben verschrieben. Meinst du, du wirst in den nächsten Jahren auch nochmal die Stadt unsicher machen?

Wer weiß, aber wenn, dann auf meine ruhige Art. Ich mag keine Splatter- oder Gewaltfilme. Detlef Kuhlbrodt von der taz hat über die Deichbullen geschrieben, dass es bewundernswert sei, sich in einem so kleinen Format Zeit zu lassen für Dinge wie Blicke, Gesichter, Landschaften und das nachklingen lakonischer Sätze. Das fand ich irgendwie gut, weil in der heutigen Zeit ja sehr viele Schnitte gemacht werden und einfach immer was passiert. Bei den Deichbullen kommt ein Schnitt – und dann passiert erstmal gar nichts. Da gehen halt zwei die Straße lang. Entschleunigtes Gucken. Man muss natürlich bereit sein, sich darauf einzulassen und diese langen Einstellungen zu ertragen. Das ist gar nicht so einfach, denn unsere Sehgewohnheiten haben sich im Laufe der Zeit verändert. Und es ist eine Kunst, den Schnitt kurz vor der Schmerzgrenze zu setzen.

Was kommt als nächstes?

Ich hoffe jetzt erstmal, dass es gute Kritiken gibt und wir mit der Serie weitermachen können – denn es brennt uns wirklich unter den Nägeln. Es sind echt gute Geschichten entstanden, die Spannungspotential bieten. Wir drücke also die Daumen, dass wir das "Go" für eine zweite Staffel bekommen.

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