MOIN Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein

"In Hamburg fühle ich mich zu Hause"

28.09.2018 | Filmemacherin Sandra Nettelbeck

August Zirner und Barbara Auer in "Was uns nicht umbringt"

Ein Therapeut verliebt sich in seine Patientin – um diesen Tabubruch dreht sich alles in Sandra Nettelbecks neuer Tragikomödie "Was uns nicht umbringt", die am 30.09. ihre Deutschlandpremiere beim Filmfest Hamburg hat. Im aufblen.de-Interview spricht die Hamburger Regisseurin und Autorin („Bella Martha") über das "Hamburgische" in ihrer Erzählung, über die Zwischentöne im Setdesign und ihr großartiges Star-Ensemble.

Wie war es für dich mit deinem Film „Was uns nicht umbringt" auf die berühmte Piazza Grande in Locarno zurückzukehren?

Ich war zum dritten Mal dort und habe mich wahnsinnig darauf gefreut. Ich hatte auf der Piazza Grande schon zwei ganz tolle Premieren. Dieses Mal waren unglaublich viele Leute vom Film und auch Freunde dabei – alleine elf Schauspieler und endlich auch mein Kameramann Michael Bertl! Leider hat es ausgerechnet diesmal kurz vor der Vorführung so heftig zu regnen begonnen, dass wir in die Halle umziehen mussten. Da hat mein Herz schon geblutet, vor allem wegen all der Leute, die zum ersten Mal dort waren – und denen ich natürlich von meinen anderen Vorführungen auf der Piazza vorgeschwärmt hatte. Aber wir hatten trotzdem alle eine tolle Zeit. Locarno ist und bleibt mein liebstes Festival, es ist einfach wunderbar dort.

Regisseurin Sandra Nettelbeck
„Was uns nicht umbringt" macht einen ja bekanntlich stärker. Wie passt diese Redewendung auf deinen neuen Film?

Ich finde, man kann diese Redewendung beliebig ergänzen. Was uns nicht umbringt, macht uns manchmal auch klüger, großzügiger oder empathischer. Einige der Figuren erleben den Verlust geliebter Menschen oder das Ende einer Beziehung. Aber ich glaube, es sind weniger die Ereignisse selbst, als vielmehr die Tatsache, wie sie damit umgehen, die sie dann am Ende stärker macht – stark genug, um weiterzuleben. Ob sie in der Lage sind, etwas zu wagen, oder einen Schmerz nicht zu vermeiden sondern ihn zu erleben. Darauf kommt es an. Ich glaube, es sind vor allem die schmerzlichen Erfahrungen, die uns zu den Menschen machen, die wir sind. Ich habe schon einige davon gemacht, und ich weiß, wie sehr sie mich prägen, und wie sehr sie letztlich meine Wahrnehmung heute definieren und bereichert haben.

Bjarne Mädel und Jenny Schily vor Hamburger Hafenkulisse
Mit August Zirner, Johanna ter Steege, Barbara Auer und Peter Lohmeyer hast du ein beeindruckendes Star-Ensemble zusammengetrommelt. Wie lief die Zusammenarbeit?

Phantastisch. Und sehr lustig. Wir kannten uns fast alle schon von anderen Filmen, wir waren uns vertraut und wir wussten alle, worauf es uns ankam. Andere kamen neu dazu, wie zum Beispiel Christian Berkel. Ich hatte ihm die Rolle auf den Leib geschrieben. Oder auch Bjarne Mädel, der nicht mehr wegzudenken ist aus dem Film. Es war einfach nur eine Wonne, allen dabei zuzusehen, wie sie die Figuren zum Leben erwecken. Victoria Mayer war die größte (und schönste) Überraschung beim Dreh – sie ist eine wunderbare Komödiantin und Schauspielerin, und einfach eine tolle Frau. Ich freue mich immer noch so sehr, dass ich sie auf dem Castingband einer anderen Schauspielerin zufällig entdeckt habe. Eine bessere Henriette hätte ich niemals finden können. Ich könnte Seiten füllen über dieses wunderbare Ensemble: Oliver Broumis, Jenny Schily, Deborah Kaufmann, Mark Waschke, ich hoffe ich habe niemanden vergessen, denn mit allen war die Arbeit einfach großartig. Auf meinen Instinkt bei Castings bin ich unverhohlen stolz.

Die Personen, die bei Max auf der Therapiecouch landen, stehen alle – vor ihrem Schicksalsschlag – mitten im Leben. Sie arbeiten seit Jahren erfolgreich im Job oder haben Kinder im Teenageralter: Was hat dich an dieser Altersgruppe fasziniert?

Das ist ganz einfach: Es ist meine. Write about what you know, hat Howard Hawks immer gesagt. So I did.

Maximilians Praxis: Sophie (Johanna Ter Steege) und Max (August Zirner)
Was ist für dich das "Hamburgische" an "Was uns nicht umbringt"? Hätte der Film aus deiner Sicht auch in einer anderen Stadt funktioniert?

Hamburg ist meine Heimatstadt, auch wenn ich jetzt schon seit fast 25 Jahren in Berlin lebe. Ich glaube durchaus, dass man diese Geschichten auch woanders hätte erzählen können. Aber in Hamburg fühle ich mich zu Hause, und das finde ich beim Drehen außerordentlich wichtig, mein Film "Bella Martha" ist schließlich auch dort entstanden. Es herrscht in Hamburg eine gewisse Ruhe, eine private Atmosphäre, zugleich hat die Stadt etwas Großzügiges. Der Psychologe Max gehört dort hin, mehr als nach Berlin oder München. Und die anderen Figuren, mitunter auch in ihrer Verschlossenheit, leuchten mir in der nordischen Hafenstadt vielleicht mehr ein als anderswo.

Das Setdesign des Films fällt einem direkt ins Auge: Die Farben Braun, Schwarz und Grau dominieren, selbst das Hamburger Wetter fügt sich perfekt ins Bild. Was genau wolltest du mit der Farbgebung ausdrücken?

Sie sind die Farben des Films und der Geschichten. Michael Bertl und ich haben schon immer so gearbeitet: die Geschichten diktieren Form und Farbe. Wir haben diesmal auch sehr viel mehr mit Handkamera gedreht als in unseren anderen Filmen, weil wir die Rastlosigkeit der Figuren spüren wollten. Aber jegliche Form oder Farbe erwächst immer aus den Geschichten, die wir erzählen wollen. Das Klima kommt aus dem Buch, wir zwingen dem Film nichts auf, was er nicht verlangt oder verträgt. Darüber waren wir uns schon immer einig, und deshalb arbeiten wir auch schon so lange und so gut zusammen. Und es wird immer besser. Thomas Freudenthal, der Set-Designer, der mit uns auch schon Martha gemacht hat, setzt dieses Prinzip ebenfalls mit großer Präzision und Feingefühl um, ohne jegliche Eitelkeiten – nichts ist im Bild, nur weil es interessant oder schick ist. Sondern nur, weil es dazugehört.

Credits: Stills: Alamode Film Foto Sandra Nettelbeck: Mathias Bothor
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