Vater + Sohn + Baum = Große Geschichte
06.03.2019 | "Noah Land" beim Tribeca Festival 2019
Ein Sohn begleitet seinen Vater auf dessen letzter Reise in sein Heimatdorf: Mit „Noah Land" läuft das Langfilmdebut des türkischen Nachwuchsregisseurs und Drehbuchautors Cenk Ertürk auf dem kommenden Tribeca Filmfestival in New York. Wir haben uns mit Cenk und seinem Hamburger Produzenten Titus Kreyenberg (klinkerfilm) getroffen und über das Erstlingswerk gesprochen.
In Noah Land geht es um einen Sohn, der seinen Vater kurz vor dessen Tod in sein altes Heimatdorf begleitet, obwohl beide in der Vergangenheit kein gutes Verhältnis zueinander hatten. Der Vater möchte unter dem Noah-Baum begraben werden, den er als Kind scheinbar selbst gepflanzt hat. Doch nach seinem Weggang aus dem Dorf ist der Baum zu einer heiligen Pilgerstätte geworden – an ein Begräbnis ist somit nicht zu denken und es entsteht ein Kampf zwischen den Dorfbewohnern und dem Vater/Sohn-Gespann. Wie bist du auf die Geschichte gekommen?
Cenk Ertürk: Es gibt in der Türkei einen Baum, der Moses-Baum genannt wird. Davon wusste ich jedoch nichts, als ich die Geschichte geschrieben habe. Es gibt allerdings überall in der Türkei heilige Bäume oder Bauwerke, an die die Leute Bänder knüpfen, um sich etwas wünschen zu können. Das ist Teil unserer Kultur. Im Film haben wir uns dann aus künstlerischen Gründen nicht für die roten Bänder, sondern für Stöcke entschieden, die vor dem Baum im Boden stecken. Als ich anfing das Drehbuch zu schreiben, hatte ich übrigens bloß eine Sache im Kopf: Ich habe mich selbst gefragt, was mich davon abbringen könnte, einen Baum zu fällen. Dann kam der Noah-Baum und die Vater-Sohn Geschichte.
Wie lange hat die Arbeit an Noah Land insgesamt gedauert?
Cenk Ertürk: Vor fünf Jahren habe ich an der Uni bei einer Writing Class mit dem Drehbuch angefangen. Ich habe ehrlich gesagt nicht an die Geschichte geglaubt, bis ich sie im Rahmen des Seminars pitchen musste. Mein Professor kam im Anschluss zu mir und sagte, dass es eine großartige Geschichte sei – dass ich sie jedoch nicht als Kurzgeschichte – wie ursprünglich geplant – sondern als Langfilm verwirklichen sollte.
Und was hast du geändert, nachdem du wusstest, dass es ein Langfilm wird?
Cenk Ertürk: Auf diese Weise hatte ich natürlich mehr Raum für andere Charaktere. Es war jetzt also nicht mehr bloß ein Film über Vater und Sohn, sondern ich schrieb das Dorf, den Bürgermeister und natürlich auch die Frau des Sohnes mit in die Geschichte.
Was war die größte Herausforderung bei dem Projekt?
Cenk Ertürk: Die Hauptdarsteller des Films Ali Atay und Haluk Bilginer sind Superstars in der Türkei – und das war manchmal echt anstrengend. An einem „Day off" hatten wir beispielsweise ein Essen und andauernd kam jemand, der mit den beiden reden wollten.
Viele Leute haben mich vorher gefragt, ob ich mir wirklich sicher bin, ob ich mir zutraue, diesen Stars Anweisungen zu geben. Und am ersten Tag hatte ich dann tatsächlich etwas Angst. Wir drehten die erste Szene und der Darsteller des Sohnes (Ali Atay) wollte nicht auf meine Vorschläge eingehen. Ich fragte ihn: „Wenn dein Vater in dieser Szene den Raum betritt, warum schaust du ihn dann an? Und er antwortete: „Weil mein Charakter mutig ist und keine Angst hat. Das ist meine Chance, mich ihm zu stellen." Ich sagte darauf nur: „Versuch einfach mal, ihn nicht anzuschauen." Das machte für ihn anfangs natürlich keinen Sinn, da er seinen Charakter ja furchtlos und mutig darstellen wollte. Als wir diese kleine Diskussion hatten, war Haluk Bilginer nicht im Raum und wusste somit nicht, worüber wir gesprochen hatten. Als wir die Szene dann letztendlich doch nochmal mit meinem Vorschlag ausprobierten, kam er nach der Szene zu mir und fragte: „Was hast du an der Szene verändert? Ich habe mich von meinem Sohn in der Szene wirklich verletzt und angegriffen gefühlt – das hat mir für mein Spiel sehr geholfen." Meine Idee hatte also letztendlich geklappt. Aber es ist manchmal nicht ganz einfach, als junger Filmemacher Regieanweisungen an erfahrene Schauspieler zu geben.
Warum hast du dann überhaupt so berühmte Darsteller für deinen Film genommen?
Cenk Ertürk: Schon beim Schreiben hatte ich immer Haluk Bilginer im Kopf, der jetzt auch den Vater spielt. Es hat allerdings fast ein Jahr gedauert, bis er in die Rolle eingewilligt hatte. Danach war es jedoch viel leichter, an die anderen Darsteller heranzukommen, da in der Türkei jeder mit ihm spielen will. Und bei Ali Atay wusste ich einfach, dass er voller Überraschungen steckt und intensiv und real spielt – da gibt es keine „Fake-Szenen", die unrealistisch rüberkommen. In einer der Kampfszenen wurde ihm sogar eine Rippe gebrochen, so sehr hat er sich reingehängt. Zum Glück war der Film zu dem Zeitpunkt fast abgedreht – die Story können wir später bestimmt gut für Werbezwecke nutzen (lacht).
Was ist die Moral der Geschichte?
Cenk Ertürk: In dem Film geht es im Großen und Ganzen um Akzeptanz und darum, über andere nicht vorschnell zu urteilen – und sich nicht an die Vergangenheit zu klammern.
Titus Kreyenberg: Außerdem lernen beide mehr über sich selbst, sowohl Vater als auch Sohn.
Cenk Ertürk: Das stimmt. Und zu unserem griechischen Cutter, der übrigens auch „The killing of a sacred deer" und „The Lobster" geschnitten hat, meinte mal jemand, dass der Film von einem Mann handelt, der Angst davor hat, ein Vater zu werden. Ich finde, das ist eine schöne Art, den Film zu beschreiben.
Wie ist die Zusammenarbeit mit klinkerfilm zustande gekommen?
Cenk Ertürk: Wir haben uns beim CineMart-Festival auf dem Co-Produktion Market in Rotterdam kennengelernt – und ich fand sie sofort großartig, denn Titus und seine Leute haben auch schon einen anderen Film aus der Türkei produziert, den ich liebe. Wir sind in Kontakt geblieben und ich habe ihn über die Fortschritte beim Schreiben auf dem Laufenden gehalten.
Titus Kreyenberg: Und dann haben aus meinem Team Linus Günther und Sophia Ayissi Nsegue übernommen. Sofort als klar war, dass wir Förderung von der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein bekommen, hat Linus sich auf den Weg in die Türkei gemacht, um die anderen Produzenten und das Team kennenzulernen – denn über Skype funktioniert so etwas leider nicht.
Was hat sich in den letzten Monaten noch am Film geändert?
Cenk Ertürk: Bei dem ersten Cut war der Film beispielsweise noch zweieinhalb Stunden lang, der zweite Cut war dann zwei Stunden und fünfzehn Minuten – jetzt sind wir bei einer Stunde und 45 Minuten. Manchmal braucht man etwas Abstand um zu sehen, welche Szenen für den Film wirklich wichtig sind und welche nicht. Das ist natürlich für mich als Regisseur und besonders für die Schauspieler manchmal traurig, kommt aber dem Film und damit letztendlich auch dem Zuschauer zugute.
Was erwartet uns in Zukunft noch aus deiner Feder?
Cenk Ertürk: Ich habe tatsächlich schon drei neue Geschichten im Kopf, die ich auch gerade parallel zu Papier bringe. Es wird mehr um Dinge gehen, die ich selbst in den letzten Jahren erlebt habe – also erstmal keine Vater-Sohn-Geschichten mehr.