MOIN Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein

Mit „Billie” den Schmerz in die Magengrube lachen

26.09.2025 | Billie beim Filmfest Hamburg

Filmszene: Das Kind "Maja" und ihre Mutter "Nina" sitzen vor einem großen Fenster. Draußen ist eine Straße und parkende Autos.
© Hardy Brackmann

Sheri Hagens dritter Spielfilm „Billie” feiert am 26. September Weltpremiere beim Filmfest Hamburg. Der Ensemblefilm, produziert von Equality Film, wurde vollständig in Hamburg realisiert – warum gerade Nettelnburg zur Schlüssellocation wurde und wie der Film Schmerz und Humor verbindet, lest ihr hier.

Von Sainabu Fye

„Es gibt auch Nettelnburg. Hast du dir den Bezirk schon mal angeschaut?“ Eigentlich wollte Sheri Hagen in Mümmelmannsberg drehen. Es war die Vermischung unterschiedlicher Kulturen und Klassen, die die Regisseurin für den Dreh ihres Filmes, dorthin zog. Nur gab es dort keinen Brunnen, der immerhin ein zentrales Filmmotiv darstellt. Umso besser, dass der Hamburger Location-Scout Tilman Westecker Nettelnburg vorschlug. Der Ortsteil in Hamburg-Bergedorf konnte Hagen mit seinen Hochhäusern und vor allem dem Werner-Neben-Platz direkt überzeugen. Somit verwandelte sich der rot-gepflasterte Vorplatz zu einem Set mit einem Secondhand-Laden, der zu einem arabischen Lebensmittelladen wurde und ein farbiges Kunstwerk zu einem Brunnen. Der Standort war nicht nur atmosphärisch perfekt, sondern auch ökologisch sinnvoll: Kurze Wege, reduzierte Transporte und einige Schauspieler*innen, die morgens direkt mit der S-Bahn kamen. „Ich war geflasht von Nettelnburg“, erinnert sich Hagen. Hier fand sie vor allem die gesellschaftlichen Facetten, die sie für "Billie" suchte.

Mückenstiche einer Gesellschaft

Wie übersetzt man diese gesellschaftlichen Konflikte und Strukturen, ohne an Leichtigkeit zu verlieren? Hagen macht es, indem sie kein lineares Drama erzählt, sondern ein Ensemble inszeniert, das wie ein Mikrokosmos funktioniert:
Alles beginnt damit, dass die alleinerziehende Mutter Angie (Thelma Buabeng) 300 Euro für die Klassenfahrt ihrer Tochter benötigt. Sie wendet sich an die Bank – und trifft dort auf Marc (Timo Jacobs), den Ehemann ihrer besten Freundin Nina (Ruby Commey). Als er den Kleinkredit verweigert, gerät die Situation außer Kontrolle und aus einer harmlosen Bitte entsteht eine versehentliche Geiselnahme. Die Bank wird dabei zum Brennglas, in dem verschiedene Lebensrealitäten und Abhängigkeiten aufeinanderstoßen. Sichtbar werden subtile Formen von Alltagsrassismen, Diskriminierungen und Missverständnissen – jene „Mückenstiche“, wie Hagen sie nennt, die von der Gesellschaft ausgelöst werden.

Gleichzeitig behandelt der Film auch das Thema häusliche Gewalt. Für die Regisseurin war es wichtig, eine Darstellungsform zu finden, in der Gewalt nicht einfach mit Gewalt reproduziert wird: „Ich wollte eine andere Form der Abhängigkeit finden, die aber auf eine perfide Art genauso gewaltvoll ist“ Dafür arbeitet Hagen mit Bewegung und Tempo. So gibt es Protagonistinnen die Beschleunigung und Entschleunigung verkörpern. Und Tanzszenen, die Machtspiele und Dynamiken zwischen den Charakteren auf nonverbale Weise spürbar machen. Dadurch visualisiert Hagen „was es heißt, sich loszulösen und wie schwer das fällt – aber auch, wie man Macht annimmt und sie wieder zurückschleudert.“

Und dennoch: "Billie" lässt trotz der unangenehmen bis unerträglichen Mückenstiche Raum zum Aufatmen und Lachen.

„Ich wollte kein Drama erzählen, weil ich glaube, dass man durch das Lachen den Schmerz besser fühlen kann und er in die Magengrube hineingerät.“

Es ist vor allem auch eine Geschichte über Zusammenhalt, Freundschaft und Solidarität – gerade unter Frauen.  Vielleicht ist das Gefühl von „Gemeinschaft“ in diesem Fall vergleichbar mit einer Anti-Mücken-Kerze auf der Abendterrasse: sie schützt nicht nur vor den kleinen Stichen des Alltags, sondern spendet auch Wärme und Licht in der Dunkelheit.

"Nina", "Angie", "Rahel" und "Maja" umarmen sich auf dem Werner-Neben-Platz.
Cast: Thelma Buabeng, Joy Ewulu, Ruby Commey und Sannrae Rehnström / ©Hardy Brackmann

Ein Cast der die Magengrube trifft

Für den Balanceakt zwischen Humor und Tragik legte Hagen großen Wert auf eine Besetzung, die beides transportieren konnte. Dafür suchte sie bewusst keine „glatten Schauspieler*innen, sondern Gesichter, in denen sich ständig Neues entdecken lässt.“ Eins war schnell klar: „Für Angie wollte ich Thelma Buabeng.“ Und bei Nina begegnete ihr Ruby Commey. Sannrae Rehnström, die Darstellerin der kleinen Tochter Maja, fand sie hingegen per Zufall bei einem Dreh in Hamburg.

Sichtbarkeit im Film beginnt am Set

Produziert wurde "Billie" von der Berliner Produktionsfirma Equality Film. Diese wurde 2015 von Sheri Hagen gegründet, um vor allem Geschichten über Menschen zu erzählen, die im Alltag oft übersehen werden. Als Drehbuchautorin schöpft Hagen beim Schreiben auch aus ihrem persönlichen „Bildarchiv“: Erfahrungen aus ihrem sozialen Umfeld, von Reisen oder Begegnungen fließen in die Figuren und Szenen ein, auf die sie bei der Planung und Umsetzung immer wieder zurückgreift.

Porträtfoto von Sheri Hagen
Sheri Hagen ist Regisseurin, Drehbuchautorin, Schauspielerin und Produzentin. Für „Billie“ schrieb sie das Drehbuch, übernahm die Regie und realisierte den Film mit ihrer Produktionsfirma Equality Film.

Ihr Herzensprojekt "Billie" erzählt nicht nur eine Geschichte von Women of Color, sondern wird auch maßgeblich von ihnen umgesetzt. Von der Kostümabteilung unter Leitung von Beatrace Oola aus Hamburg über die Szenenbildabteilung und Regieassistenz kamen zahlreiche Teammitglieder aus der Schwarzen Community. „Für mich ist es besonders wichtig, dass nicht nur einzelne Positionen, sondern auch Heads mit BIPOC besetzt sind“.

Am 26. September feiert "Billie" seine Weltpremiere auf dem Filmfest Hamburg.

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