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Grünes Drehen als Chance begreifen
30.08.2021 | Hamburger Produzentin und Green Consulterin Rike Steyer

Die Filmbranche stellt auf Grün. Seitdem immer mehr Filmförderungen und auch Fernsehsender als Auftraggeber grünes Drehen zur Auflage machen, ist Knowhow und Beratung gefragt. Green Consultants helfen den Filmteams in der Vorbereitung und beim Drehen. Wie das in der Praxis funktioniert und welche Möglichkeiten sie haben, darüber haben wir mit der Hamburger Produzentin und Green Consulterin Rike Steyer gesprochen.
Für die Mutter von drei Kindern spielt Nachhaltigkeit eine relevante Rolle. Und als Produzentin hat sie regelmäßig für ihre produzierten Filme den Grünen Drehpass (mittlerweile Grüner Filmpass) erhalten, die Auszeichnung für nachhaltiges Drehen der MOIN Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein: etwa für den Spielfilm „Goliath 96" mit Katja Riemann in der Hauptrolle im Jahr 2019, ebenso für das Spielfilmdebüt „Goth" von Nils Loof (2017) oder auch für den Kurzfilm „Nicole's Cage" von Josef Brandl (2017). Als die Produzentin und Firmengründerin des Unternehmens Skalar Film im vergangenen Jahr ihr jüngstes Spielfilmvorhaben „Wir bleiben in der Nähe" wegen der Corona Pandemie bis auf weiteres verschieben musste, wollte sie nicht untätig bleiben. Sie ließ sich an der IHK München bei dem Green Film & TV Experten Philip Gassmann zur Green Consulterin ausbilden. „Es ging mir darum noch ein zweites Standbein aufzubauen und projektweise arbeiten zu können".

Aktuell betreut sie zwei Dokumentarfilm-Produktionen. Zum einen den Kinofilm „Heaven can't wait" von Sven Halfar, eine Produktion der Hamburger Heimathafen Film, sowie die TV-Auftragsproduktion des MDR „Wenn der Wald stirbt", die von der Bremedia ausgeführt wird. Rike Steyer hat bereits das Spielfilmdebüt „DeaD" von Sven Halfar produziert und berät ihn jetzt in der Produktion, die ausschließlich in Hamburg realisiert wird. Der in Hamburg geförderte Film muss die Auflagen der MOIN Filmförderung erfüllen. „Heaven can't wait" erzählt von einem älteren Chor von über 70-jährigen Mitgliedern, die noch mit großer Leidenschaft üben und auftreten. Aber ihre Proben werden durch die Gefahren der Corona-Pandemie in Frage gestellt. „Es wird bei dieser Produktion viel spontan gedreht. Das erschwert eine vorbereitende Planung von nachhaltigen Maßnahmen", so Steyer. Corona sei auch ein Problem für umweltfreundliche Maßnahmen beim Catering am Set.

Bei der TV-Dokumentation ist es der Auftraggeber MDR, der eine grüne Produktionsweise intendiert hat. Der Sender wollte an der Initiative „100 Grüne Produktionen" des Arbeitskreises Green Shooting teilnehmen, die sich zum Ziel gesetzt hat, dass 2021 100 Fernseh- und Filmproduktionen grün gedreht werden. Da die Dokumentarfilm-Produktion auf fünf Jahre angelegt ist, sei das nicht zu erfülle – doch die Produktion habe sich die Kriterien als Maßstab genommen.
Von Vorteil ist es, wenn Green Consultants so früh wie möglich an Bord eines Filmprojektes kommen: „Die Weichen lassen sich besser stellen, um so früher die Beratungen beginnen können", so Steyer. Green Consulting beginnt beim Drehbuch, bei Dokus beim Konzept. Ist Rike Steyer engagiert, stimmt sie in einem grundlegenden Kickoff-Workshop das Team mit den Departments auf alle Fragen des ressourenschonenden Drehens und der Einsparung von Emissionen ein. „Ich mache bei dem Kick-off Workshop eine kleine Emissionsreise und erkläre, warum und wieso wir nachhaltig arbeiten möchten. Bei einem Spielfilm sind das die einzelnen Leiter*innen der Departments, bei einem Dokumentarfilm ein eher kleines Team bestehend aus Kamera, Regie und Produktion." Für die Dokumentation „Wenn der Wald stirbt" sind einige Herausforderungen zu bewältigen, obschon eine kleine Dokumentarfilmproduktion zunächst nicht einen solch großen CO2-Fußabdruck hinterlässt wie größere Spielfilmproduktionen. Dennoch muss für den Film viel gereist und in längeren Phasen direkt in der Natur gedreht werden. „Die Frage ist hier, wie klein sich das Equipment halten lässt, ob mit der Bahn angereist und erst vor Ort ein Auto angemietet wird und natürlich wie die Energieversorgung vor Ort realisiert wird." Bremedia besitzt ein CNG-Fahrzeug, das mit Erdgas betankt wird. CNG hat von allen fossilen Energieträgern die beste CO2 Bilanz, zudem verursachen Erdgas betriebene Fahrzeuge bis zu 95 Prozent weniger Luftschadstoffe. Bei den Drehtagen im Wald geht es aber auch um die Frage der Unterbringung, etwa ob vor Ort gecampt werden kann, wie auch um die Stromversorgung: „Das Equipment wurde so zusammengestellt, dass es klein und handlich ist und somit der Kameramann Jan-Ole Sieg mit dem Auto in den Wald anreisen kann und dort komplett autark ist", berichtet Steyer. „Wir sparen Übernachtungen im Hotel und das Aufladen der Akkus für die Kamera und Drohne erfolgt über ein Solar-Panel."

Manches scheitert an der Praxis
Jedes Projekt stelle wieder andere und neue Anforderungen, aber prinzipiell lassen sich bei allen Produktionen genügend Ansatzpunkte finden, um sie nachhaltiger umzusetzen: „Nicht alles, was man sich vornimmt, lässt sich auch realisieren, weil es an Grenzen in der Praxis stößt", sagt Steyer. Die größten Einsparpotenziale lassen sich bei Transport und Energie erzielen, ohne dass die Teams dabei groß auf etwas verzichten müssten. Eine Erfahrung sei jedoch, dass manche Alternativen derzeit noch an den realen Bedingungen scheiterten. „CNG- und Elektrofahrzeuge sind nach wie vor noch Mangelware bei den Autovermietern. Beleuchtungs-Equipment wie die energieeffizienten LED-Leuchten sind zwar ausreichend verfügbar, aber derzeit teils noch dreifach so teuer. Das stößt schnell an Budgetgrenzen." Ebenso bestehe bei den emissionsarmen Dieselgeneratoren derzeit noch ein zu mageres Angebot. Ein Vorreiter in der Branche sei der Hybrid-Solargenerator des Kölner Filmgeräteverleihs Maier Bros., der mit Akku und Solarzellen, sowie Netz- und Gasbetrieb für unterschiedliche Lastenanforderungen gerüstet ist. Doch davon gebe es derzeit erst einen und den wollen alle haben.
Am Dienstag, 28.09., findet um 10 Uhr via Zoom unser kostenloses "MOIN Green Consultant Film & TV"- Seminar statt. Die zertifizierten norddeutschen Green Consultants Ingo Ehrlich, Maren Heyn, Anika Kruse, Mareike Pielot und Rike Steyer, werden erläutern, wie der/die Green Consultant als neuer, fester Bestandteil einer Produktion mit kompetenter Beratung und konkreten Impulsen zur Umsetzung effizienter, ökologisch-nachhaltiger Maßnahmen beiträgt und Filmproduktionen bei der Einhaltung der verpflichtenden Kriterien und Mindeststandards – jetzt und in Zukunft – begleitet. Hier geht's zur Anmeldung
Neben Workshop, Beratung und konzeptionelle Vorbereitung des Drehs, begleitet Rike Steyer die Produktion bis zum Ende. Zum Abschluss gilt es eine CO2 Bilanz zu erstellen, wofür sie einen CO2-Rechner einsetzt, der laufend mit Daten gefüttert werden muss. „Je früher sich das Team einbinden lässt und die Angaben schon in der Produktion eingegeben werden können, um so besser ist es." Doch Steyer rechnet noch mit zwei Tagen nach Beendigung der Dreharbeiten für die Eingabe der Daten in den Rechner.
Ökologische Mindeststandards im FFG
Green Consultants stoßen nicht immer auf offene Türen, da bestehen teils Vorbehalte und manchmal einfach nur geringes Interesse. Doch die Rahmenbedingungen durch Förderungen wie MOIN Hamburg Schleswig-Holstein geben grüne Maßnahmen vor; auch das novellierte und am 1.1.2022 in Kraft tretende Filmförderungsgesetz knüpft Fördermittel des Bundes an ökologische Mindeststandards. Und die MFG Baden-Württemberg bezuschusst die Kosten für Nachhaltigkeit und Green Consulting mit 5000 Euro, die noch auf die Förderung oben drauf gezahlt werden.
Die Kosten für grünes Drehen und den Einsatz von Green Consultants am Set lassen sich auf jeden Fall kalkulieren, ob sie sich durch Einsparungen wieder komplett kompensieren lassen, hänge letztlich davon ab, wann die grünen Berater und Beraterinnen zur Produktion stoßen und welchen Einfluss sie nehmen können. „Da gibt es sicher noch einige, die den Einsatz von Green Consultants eher als notwendiges Übel begreifen und nicht als Unterstützung. Ich sage stets, dass grünes Drehen als Chancen zu verstehen ist, weil die Filmproduktionen sich so für die Zukunft aufstellen", so Steyer. Auch der weit verbreiteten Ansicht, dass grüne Maßnahmen die Produktionen verteuern, hält die Green Consulterin entgegen: „Es wird nicht unbedingt teurer, nur weil eine Produktion sich nachhaltig aufstellt. Die Produktionen werden effizienter und sparen Energie und Kosten. Bei einem breiteren Angebot an effizienterem und energiesparendem Equipment sinken zudem die Preise."
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