Alles in Bewegung
04.10.2022 | Human Flowers of Flesh
Anders als die anderen: „Human Flowers of Flesh" von Helena Wittmann ist ein Film, der ohne viele Worte, aber mit starker Bildsprache daherkommt und bereits das Publikum in Locarno und jüngst auch beim Filmfest Hamburg überzeugen konnte. Wir haben uns mit der Hamburger Filmemacherin getroffen und über ihre Arbeit gesprochen.
Als Helena Wittmann im Sommer 2020 mit ihrer Filmcrew rund zehn Tage komplett auf einem Schiff zwischen Marseille und Korsika verbrachte, kam es ihr vor wie eine kleine Utopie. Inmitten der Corona-Pandemie hatte sich das Team hier einen abgeschirmten Kosmos erschaffen. Ohne Mobilempfang, ohne viel Equipment, dafür mit viel Zeit und der Möglichkeit, sich voll auf ihr Projekt zu konzentrieren: Hier entstanden die Boots- und Meeraufnahmen zu ihrem neuen Film „Human Flowers of Flesh". Ein Film, der bereits in Locarno für viel Aufsehen sorgte und hier im Wettbewerb lief. Ein Film, der ohne große Kausalitäten auskommt und auf eine soghafte Bildsprache setzt.
Im Fokus der Handlung steht Ida, die mit ihrer fünfköpfigen Besatzung auf einem Segelschiff lebt. Als sie in Marseille auf die französische Fremdenlegion trifft, steht sie einer verschlossenen Männerwelt gegenüber und sie beschließt, ihren Spuren über das Mittelmeer bis nach Algerien zu folgen.
Für die Handlung des Films gibt es verschiedene Ausgangspunkte: „Für meinen Film 'Drift' haben wir auf dem Atlantik gedreht – aber ohne, dass das Leben auf dem Meer dabei thematisiert wurde. Das wollte ich jetzt nachholen", verrät Wittmann. Außerdem spiele „Bewegung" immer eine Rolle in ihren Filmen, was sich in den unzähligen Boots- und Wasseraufnahmen sehr eindrucksvoll zeigt. Auf die französische Fremdenlegion sei sie hingegen eher durch Zufall gestoßen, als sie einen Freund in Marseille besuchte: „Ich beobachtete dort eine Gruppe Männer, die extrem verschlossen und irgendwie abgekapselt waren. Ich erfuhr dann, dass es sich bei der Gruppe um Fremdenlegionäre handelte – und war fasziniert davon", so die Hamburgerin. Sie fuhr später erneut nach Marseille, forschte viel zu dem Thema, bis sich irgendwann die Idee für „Human Flowers of Flesh" herausschälte. „Meine Filme beginnen eigentlich nie mit einer Story, sondern immer mit einer Beobachtung – und das war auch dieses Mal so", verrät die 40-jährige Filmemacherin.
Die Dreharbeiten fand im Sommer 2020 rund sechs Wochen in Marseille (bzw. vor Marseille auf dem Wasser) und im Jahr 2021 nochmal eine Woche in Marokko statt. Eigentlich wollte das Team direkt in Algerien drehen, bekam jedoch kein Visum. „Da sich Algerien kurzfristig zerschlagen hatte, entschieden wir uns einen Monat vor Drehbeginn, auf Marokko auszuweichen. Ein aberwitziges Unterfangen, doch am Ende hat alles geklappt", verrät Wittmann. In der Regel kennt sie ihre Drehorte im Vorwege bereits ganz genau, hat ein detailliertes Bild der Szenen im Kopf, die sie drehen möchte. Auf diese Weise sei sie vor Ort dann sehr frei – und das gesamte Team profitiere davon.
„Human Flowers of Flesh" setzt voll auf seine Bildsprache und kommt dabei fast gänzlich ohne Dialoge aus. Eine bewusste Entscheidung? „Am Anfang war noch gar nicht klar, dass Dialoge kaum eine Rolle spielen werden im Film. Doch ab einem gewissen Punkt hat es sich beim Schreiben des Drehbuchs einfach richtig angefühlt. So gab es mehr Freiheit für die Figuren", sagt Helena Wittmann.
Ein Film ohne viel Sprache, dessen Kamerafahrten und Bilder nicht immer eine Handlung vorantreiben, sondern einfach wirken. So ein Film funktioniert nicht unbedingt für alle Zuschauer*innen: „Klar verstehe ich es, wenn Zuschauer*innen nach dem Film zu mir kommen und sagen, sie haben den Film nicht verstanden. Viele Filme funktionieren über Sprache. Das ist bei 'Human Flowers of Flesh' anders. Ich versuche jedoch im Film schnell klarzumachen, dass es nicht die eine Lesart oder Wahrheit gibt", sagt sie.
In ihren Filmen übernimmt die HFBK-Hamburg Absolventin verschiedene Rollen: Sie ist Drehbuchautorin, Regisseurin, Kamerafrau und Editorin – und keinen der Jobs möchte sie missen. Nach den Dreharbeiten hat ein Großteil der weiteren Arbeit am Film in ihrem Atelier in Hamburg Veddel stattgefunden, wo sie ihren Schnittplatz hat: „Mein Atelier ist während der Arbeit an 'Human Flowers of Flesh' zu einem richtigen Labor geworden. Die manuelle Arbeit für die 'blaue Sequenz' allein hat rund ein Jahr gedauert", verrät Wittmann. Ein langer Weg, den die Hamburger Produktionsfirma Fünferfilm gemeinsam mit ihr gegangen ist. „Wir sind mittlerweile sehr gut befreundet. Generell ist die Solidarität zwischen den Filmschaffenden in Hamburg einer der großen Pluspunkte der Stadt", so Wittmann.
Oft geht sie von ihrer Wohnung im Karoviertel zu Fuß ins Atelier – und entwickelt hierbei neue Ideen. Wie auch für ihr kommendes Projekt, das komplett in Hamburg spielen soll. Eine Stadt am Wasser mit viel Bewegung: die Grundvoraussetzung für einen neuen Wittmann-Film scheinen also zu stimmen.