MOIN Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein

Von Implosionen und Explosionen

28.09.2024 | Kerstin Poltes „Blindgänger“

Anne Ratte Polle / Credit: Katharina Bühler

Manchmal ist der Krieg uns sehr nah – als erlebtes oder vererbtes Trauma. Die Regisseurin Kerstin Polte hat darüber ein düsteres, sehr bewegendes Drama mit einem außergewöhnlichen Ensemble in Hamburg gedreht, Tamtam Film hat es produziert, die MOIN Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein unterstützt und nun feierte es auf dem Filmfest Hamburg Premiere.

von Britta Schmeis

Die Meldungen schrecken gar nicht mehr so auf, wenn in Hamburg mal wieder eine Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg entschärft wird, Menschen für eine gewisse Zeit ihre Wohnungen verlassen müssen und vorübergehend in einem gewissen Radius Ausnahmezustand herrscht. Und doch lösen diese Entschärfungen bei vielen Menschen existenzielle Ängste aus, weil sie Bombenhagel erlebt haben – vor Jahrzehnten oder sehr aktuell. Die Recherche in der eigenen Familiengeschichte, eine Meldung über die Evakuierung eines Seniorenheimes und die einsetzenden Fluchtbewegungen aus Syrien und Afghanistan sensibilisierten die Filmemacherin Kerstin Polte für das Thema. Früh holte sie die Hamburger Produktionsfirma Tamtam Film mit Andrea Schütte ins Boot und entwickelte gemeinsam mit ihr das bewegende Drama „Blindgänger“. 

„Vielen scheint der Krieg weit weg, tatsächlich aber liegen die Altlasten noch unter unseren Füßen", sagt Kerstin Polte. Bei Entschärfungen kämen bei Menschen, die einen Krieg erlebt hätten, die schlimmsten Erinnerungen hoch. So wie Margit Petersen (Barbara Nüsse) in Poltes Film. Sie hat den Zweiten Weltkrieg noch erlebt und sich seit Jahren in ihrer Mansarde verbarrikadiert, die nun wegen einer Bombenentschärfung evakuiert werden soll. Oder wie bei Junis Nerwa (Ivar Wafaei), der aus Afghanistan geflüchtet ist und in der Nachbarswohnung von Viktor (Karl Markovics) untergetaucht ist, vor dessen Fenster nun die Bombe lauert.

Anne Ratte Polle & Hailey Louise Jones / Credit: Katharina Bühler

Manche Bomben schlummern in den Menschen selbst

Diese drei sind nur einige der Charaktere in Poltes eindringlichem Ensemblefilm. Auch Lane (Anne Ratte-Polle), die Tochter von Margit, ist unmittelbar betroffen. Sie gehört zu dem Entschärfungsteam, das eigentlich von Otto (Bernhard Schütz) geleitet wird. Doch als es soweit ist, ist Otto verschwunden. Nun muss Lane den Einsatz leiten. Sie selbst scheint ebenfalls von inneren Geistern heimgesucht. 

Und so geht es in „Blindgänger“ um einen Ausnahmezustand, der sehr verschiedene Menschen ganz unterschiedlich berührt und belastet. „Einige fürchten sich vor der Explosion, weil sie Erinnerungen und Ängste hervorruft, andere – wie Otto oder auch Lane – kämpfen gegen persönliche Bomben im eigenen Körper, physische oder psychische“, sagt Kerstin Polte. Sie wählt ein episodenhaftes Erzählen, das sich zu einem mosaikhaften Bild zusammensetzt. „Es geht uns auch um die Vielfältigkeit der Gesellschaft, die wir nicht nur repräsentieren, sondern in ihrer Komplexität darstellen wollten“, erzählt die Produzentin Andrea Schütte.

Karl Markovices & Barbara Nüsse / Credit: Katharina Bühler

Charaktere erzählen von Fragmentierung der Gesellschaft

In all ihren Episoden und Einzigartigkeiten sind die Figuren mal mehr, mal weniger miteinander verbunden, ohne dass diese Verbindungen jemals je konstruiert wirken. Vielmehr erzählen sie von der Fragmentierung einer Gesellschaft, die aber doch zusammenfinden kann. Denn auf ihre Art öffnen sich all diese Menschen. In den Begegnungen werden Brücken geschlagen, die eine Gesellschaft wieder zusammenbringen kann.

Bedrohende Düsternis beherrscht die Bildsprache, nicht nur weil die Entschärfung in der Nacht vonstatten gehen soll. „Wir wollten die existenzielle Bedrohung nicht verklären, sondern zeigen, wie unterschiedlich sie den Menschen zusetzen kann“, sagt Polte. Ein Großteil des Dramas, das durchaus auch leichte Momente hat, ist in Hamburg gedreht. Die teils ikonografischen Bilder des ruinenhaften Hauses, in dem Viktor und Margit wohnen, sowie des bereits von Schutt und Asche beherrschte Gelände drum herum, sind auf dem ehemaligen Holsten-Areal in Altona entstanden.

Claudia Michelsen / Credit: Katharina Bühler

Ökologische und soziale nachhaltig dank Hamburger Drehort

„Es war für uns als Hamburger Produktionsfirma ein großes Glück, den Film komplett in Hamburg drehen zu können. Dafür brauchte es neben der Unterstützung der MOIN auch das Zugeständnis der HessenFilm & Medien, trotz Förderung auf Drehtage zu verzichten“, sagt Produzentin Andrea Schütte. Denn Tamtam hat sich schon seit vielen Jahren – ebenso wie die MOIN Filmförderung – der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit verschrieben. „So fielen aufwendige Reisen weg, und gerade die Hamburger Menschen im Team konnten nach Drehschluss zu ihren Familien nach Hause“, erzählt die Produzentin weiter. Überhaupt sei die Arbeit am Film sehr besonders gewesen, mit einem großen Verständnis für kollektive und ko-kreative Zusammenarbeit vor und hinter der Kamera. Dass der Film von einem so namhaften und grandiosen Ensemble getragen wird, macht „Blindgänger“ zu einem sehr besonderen Film, der die dunklen Schatten der Vergangenheit zu einem hoffnungsvollen Ende bringt. 

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