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Zwischen Hamburg und China
06.02.2025 | Kurzfilm „Guochang/Obsthof“ auf der Berlinale
-nana-xu.jpg?fit=max&w=1280&h=1080&q=85&fm=webp)
Was für ein Start: Mit ihrem Abschlussfilm „Guochang/Obsthof“ hat es HFBK-Hamburg Absolventin Nana Xu direkt ins Forum der Berlinale 2025 geschafft. In dem dokumentarischen Kurzfilm reist sie an den Ort zurück, den ihr Vater als Häftling während der Kulturrevolution im Südwesten Chinas mitbaute. Ein Film gegen das Vergessen und Verschweigen.
Von Daniel Szewczyk
Als Kind nahm sie den Obsthof nicht als ungewöhnlich wahr. Einst ein Arbeitslager in der chinesischen Provinz Sichuan, dann eine Mischung aus Bauernhof und Gefängnis – hier lebte Filmemacherin Nana Xu die ersten zehn Jahre ihres Lebens isoliert vom Rest des Landes. Als Anfang der 2000er die Schule auf dem Gelände geschlossen wurde, musste sie in eine neue Stadt ziehen – und merkt erst jetzt, wie anders ihre Umgebung zuvor gewesen war. Wenn man sie damals fragte, was sie einmal beruflich werden möchte, antwortete sie immer Polizistin. Der einzige richtige Beruf, den Sie vom Obsthof kannte.
-nana-xu.jpg?fit=max&w=1200&h=1080&q=85&fm=webp)
Viele Jahre später kehrt sie auf den Obsthof zurück, um hier ihren Abschlussfilm „Guochang“ zu drehen. Zu dieser Zeit lebt Nana Xu bereits seit mehreren Jahren in Deutschland und studiert an der HFBK Hamburg „Film“. Ihre gesamte Familie lebt weiterhin in China.
Die erste Recherche-Reise auf den Obsthof macht sie im Jahr 2018. Eine lange Anreise mit dem Bus über Flüsse und Berge, die auch den Weg in den fertigen Film gefunden hat. Das Gelände wurde mittlerweile zu einem Drogenbehandlungszentrum umfunktioniert und heißt jetzt „Grüne Heimat“ – alle Spuren zum ehemaligen Gefängnis und Umerziehungslager sind verwischt.
-nana-xu.jpg?fit=max&w=1200&h=1080&q=85&fm=webp)
Vor Ort angekommen ist es schwer, Leute zu finden, die sie noch von damals kennt. Ihre Familie wohnt mittlerweile nicht mehr hier, von den übrigen Bewohner*innen sind viele verstorben oder weggezogen. Doch bevor das Projekt richtig an Fahrt aufnimmt, liegt es auch schon wieder auf Eis. Die Covid-Pandemie hat den Erdball fest im Griff – und die Einreise von Deutschland nach China ist erstmal unmöglich. Erst 2022 kann Nana ihr Projekt fortsetzen, reist erneut in die Provinz Sichuan. „Für den eigentlichen Dreh hatte ich nicht viel mehr als zwei Wochen, da ich einen Großteil meiner Reise wegen der Covid-Pandemie in Quarantäne verbringen musste“, sagt die Filmemacherin. Nur mit ihrem iPhone, einer kleinen BlackMagic-Kamera und etwas Zusatzequipment macht sie sich auf dem Obsthof erneut auf die Suche nach den Spuren ihrer Vergangenheit.

Durch Gespräche mit ihrem Vater, der in den 1970er Jahren als Konterrevolutionär zur Umerziehung in das Arbeitslager geschickt und später Obstbauer wurde, konnte sie einen ihrer Hauptprotagonisten finden: den 91-jährigen Gao Zijun, einen der besten Freunde ihres Vaters. Er lebte während der Dreharbeiten immer noch auf dem Gelände. Xus Vater, an Alzheimer erkrankt, lebt zu dieser Zeit bereits in einem Pflegeheim. Mit Gao Zijun besucht sie die „Grüne Heimat“, spricht mit anderen Bewohner*innen. Auch Nana Xus Mutter ist im Film zu sehen, zeigt ihrer Tochter die Stelle, an der einst das gemeinsame Familienhaus stand. Auch sie wohnt schon lange nicht mehr hier.
-nana-xu.jpg?fit=max&w=1200&h=1080&q=85&fm=webp)
Getragen wird der Film fast über die gesamte Dauer von Nana Xus Stimme aus dem Off, nur selten ist sie auch im Bild zu sehen: „Zu Beginn hatte ich mir unterschiedliche Erzählformen für den Film überlegt. Am liebsten wäre es mir gewesen, wenn die Zeitzeug*innen alles selbst gesprochen hätten. Da ich jedoch aus meinen zwei Drehwochen nur sehr limitiertes Material hatte, musste ich mir einen anderen Weg überlegen, um das Erinnerungsmosaik zusammenzusetzen“, sagt die Hamburgerin.
-nana-xu.jpg?fit=max&w=1200&h=1080&q=85&fm=webp)
Und dass ihr das mehr als gut gelungen ist, zeigt die Einladung ihres Films in das Berlinale Forum 2025, ein kleiner Ritterschlag so früh am Beginn ihrer Karriere. Nachdem sie den Film in rund sechs Monate selbst geschnitten hatte, war Anfang 2025 genau pünktlich zur Berlinale alles fertig. „Ich saß gerade mit ein paar Kommilitonen in einer Bar, als ich die E-Mail von Barbara Wurm, der Programmkoordination des Berlinale Forums, auf mein Handy bekam. Ich konnte es kaum glauben – und nachts noch weniger schlafen“, sagt die HFBK-Absolventin und lacht. Nach der Berlinale wird sie im März wieder nach China fahren, auch wenn der Obstgarten wahrscheinlich erstmal nicht mehr auf ihrer Reiseliste steht. Dafür ihr Vater. Denn ihr nächstes Filmprojekt – ein Animationsfilm – wird sich mit den lückenhaften Erinnerungen seiner Demenzkrankheit beschäftigen. Ein Film gegen das Vergessen, genauso wie “Guochang“.
Spielzeiten Guochang/Obsthof auf der Berlinale 2025:
20.02., 15:30 Uhr (Silent Green)
21.02., 16:15 Uhr (Arsenal 1)
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