Die beste Maske kommt aus Hamburg
14.09.2017 | Filmpreis für Barbara Kreuzer

Erst Monate nach der Verleihung des Europäischen Filmpreises in Breslau 2016 konnte Barbara Kreuzer überhaupt fassen, dass sie selbst auf der Bühne stand, um die silberne Statuette als beste Maskenbildnerin entgegenzunehmen. Ein überwältigender Moment sei das gewesen, "und so viele Menschen aus der Branche, die sich für mich gefreut haben."
Ihre grau-grünen Augen funkeln, wenn sie von dem feierlichen Abend im Dezember 2016 erzählt, von der guten Organisation der Verleihung, der Betreuung hinter der Bühne - und von ihrem eigenen Herzklopfen, als es dann soweit war. Eigentlich wollte Barbara Kreuzer, die im nordrhein-westfälischen Münster aufgewachsen ist, Kunst studieren, "das Fach war leider in der Familie schon durch meinen Bruder belegt" - aber sie habe immer auch davon geträumt, Maskenbildnerin zu werden. Nach einer dreijährigen Frisörlehre probierte sie es am Theater, jedoch ohne Erfolg. Über eine Fürsprecherin aus der Branche kam Barbara Kreuzer, die seit 25 Jahren in Hamburg lebt und auf Mallorca eine zweite Heimat gefunden hat, zum Film, assistierte bei verschiedenen Fernsehproduktionen und kleinen Filmprojekten und verdiente ihr erstes eigenes Geld bei der Fernsehserie Unsere Hagenbecks. "Meine Berufsjahre sind bis heute Lehrjahre, ich bin eigentlich Autodidaktin, hatte jede Menge Glück, gute Projekte und habe mittlerweile glaube ich meinen ganz eigenen Stil gefunden."

Nach einer Anfrage durch die Produktion liest die Hamburgerin das Drehbuch, macht Notizen, Skizzen und Fotos und überlegt sich, wie man die Persönlichkeit der Figuren optisch ausdrücken kann. Die Aufzeichnungen und Moodboards sind zugleich Teil ihrer Mappe, "keine Hochglanzbroschüre, eher so ein Bastelbuch mit aufgeklebten Details, mit früheren Arbeiten und immer mit den Ideen für den aktuellen Film." Mit dieser Mappe stellt sie sich zunächst dem Regisseur vor, erläutert ihre Arbeitsweise und ihre Vision. "Das ist jedes Mal wie ein Vorstellungsgespräch und auch nach so vielen Jahren aufregend, wie zuletzt bei dem australischen Regisseur Peter Weir." Nach der Vorstellungsrunde beginne dann der eher unternehmerische Part, wie die Verhandlung über die personelle und finanzielle Ausstattung des Maskendepartments, über die Arbeitsaufteilung und über Verantwortungen. "Wer kümmert sich um die Komparsen, welches Make-Up wird gekauft, welche Special Effects sind notwendig? Am Ende laufen bei der Zusage für das Projekt alle Fäden bei mir als Head of Department zusammen." Es folgen Maskenbesprechungen und Probeaufnahmen mit den Schauspielern.
Barbara Kreuzer war unter anderem an den internationalen Kinoproduktionen Das Löwenmädchen, Unter dem Sand und zuletzt an The Aftermath beteiligt, "meine bisher größte Produktion und Herausforderung, auch was die Ästhetik betrifft." Der Produzent Malte Grunert habe sie nach der erfolgreichen Zusammenarbeit bei Unter dem Sand als Hamburger Kreative für das Projekt angefragt. "Er kannte meine Arbeit und hat mir diese große Produktion zugetraut." Den englischen Produzenten Ridley Scott und den Regisseur James Kent konnte sie ebenso überzeugen wie Hauptdarstellerin Keira Kneightley. "Ich habe darauf bestanden, sie eine halbe Stunde alleine zu treffen. Das war mir wichtig. Sie muss mir und meiner Arbeit vertrauen. Wir haben uns dann sehr gut verstanden, waren uns sympathisch. Keira Knightley ist professionell und sehr geerdet."
Die Hamburgerin begegnet Menschen immer intuitiv, intensiv und zugleich unaufdringlich. Sie weiß genau, wann sie sich zurücknehmen muss, wem sie was in der Enge des Maskenmobils erzählt und was nicht. Es sei häufig eine non-verbale Kommunikation, eine große Nähe, auch ohne viele Worte und mit gut gehüteten Geheimnissen. Mit Nina Hoss arbeite sie gerne zusammen, sie sei sehr genau, mit einem hohen Anspruch an sich selbst und an andere, und das auf eine sehr sympathische Art und Weise, so Barbara Kreuzer. "Sie hat mich immer wieder angespornt." Bei den Filmen Fenster zum Sommer, Gold, Phönix und zuletzt Rückkehr nach Montauk haben Nina Hoss und Barbara Kreuzer zusammengearbeitet.
Die schlanke, ungeschminkte Frau lehnt sich in ihrem Stuhl zurück, sie wirkt ausgeglichen und zufrieden. Sie wisse eigentlich, was sie kann und was sie tut, und sei doch bei aller Professionalität, nie ohne Selbstzweifel. "Ich wage neue Sachen, weil es wichtig ist, und bin danach total verunsichert, aber vielleicht gehört das dazu." Mittlerweile weiß sie, dass historische Stoffe eigentlich nicht so ihr Ding sind, es sei denn, sie hat die nötige Freiheit, etwas auszuprobieren. "Martin Zandvliet, der Regisseur von Unter dem Sand, hat mir vertraut, er hat diese skandinavische Lässigkeit, diese Natürlichkeit, die mir entgegenkommt. So konnte ich Neues probieren und habe zum Beispiel sehr wilde Haarschnitte für die jungen Soldaten und deutschen Kriegsgefangenen gewählt, die historisch vielleicht nicht belegt sind, aber für mich stimmig waren. Der gute Geschmack ist wichtig, die Glaubwürdigkeit." Für The Aftermath wurden dagegen andere Anforderungen an das Maskenbild-Department gestellt, strenger im historischen Verständnis. "Es ist immer wieder interessant, wie sich europäische und amerikanische Filme bis hin zum Make-Up unterscheiden, das war für mich ein wichtiger Lernprozess", sagt Barbara Kreuzer.
Unter dem Sand - Trailer

Während der Vorbereitungszeit für The Aftermath wurde sie schriftlich über den Europäischen Filmpreis für den Film Unter dem Sand informiert. "Ich habe die Mail nicht richtig gelesen und dachte, ich wäre nominiert. Meine beiden engen Kolleginnen, denen ich die Mail weitergeleitet hatte, haben mir gratuliert und mich informiert, auch dass die Mail eigentlich nicht weitergeleitet werden durfte und alles top secret sei", erzählt Barbara Kreuzer lachend. Die silberne Statuette habe sie erst gerade bei ihrer Kollegin abgeholt. Sie freut sich über die Auszeichnung, über die internationale Anerkennung ihrer Arbeit und über die Begründung der Jury: "Das Maskenbild sticht auf diskrete und unaufdringliche Art hervor, gleichzeitig trägt es zu Dramaturgie des Films bei. Die Maske harmoniert perfekt mit den Kostümen und erschafft damit einzigartige und vollkommene Figuren." Für das Kostümbild erhielt Barbara Kreuzers Kollegin Stefanie Bieker den Europäischen Filmpreis 2016, eine weitere Hamburger Kreative mit internationalem Renommee.