
Über den Wert der Freiheit
28.02.2018 | Das schweigende Klassenzimmer

Der vielfach ausgezeichnete Regisseur Lars Kraume (Der Staat gegen Fritz Bauer) erzählt in seinem neuen Kinofilm "Das schweigende Klassenzimmer" die wahre und berührende Geschichte einer DDR-Schulklasse, die aufgrund ihrer Werte und Überzeugung vom Abitur ausgeschlossen werden soll. Wir haben uns mit Lars und seinem Hauptdarsteller Leonard Scheicher pünktlich zum Kinostart am 1. März getroffen und über geschichtliche Hintergründe, die Vorbereitung zum Film, Muskeln und Schauspielunterricht gesprochen.
- Lars, bei der Premiere in Berlin waren auch Menschen dabei, die damals wirklich die Schweigeminute mitgemacht haben. Wie war das Feedback?
Am Premierenabend war Dietrich Garstka dabei. Er war aber auch während der Drehbuchentwicklung mein enger Berater. Er war mein Schlüssel, um mir diese Zeit anzueignen. Dietrich hat den Film an diesem Abend natürlich nicht zum ersten Mal gesehen. Als der Film fertig war, bin ich mit einem Beamer unter dem Arm zu ihm nach Essen gefahren und wir haben ihn bei ihm im Wohnzimmer geguckt – das war die eigentliche Premiere. Das war echt toll.
Der Film ist sehr nah dran an den Fakten des Buches. Es ist aber auch ein Spielfilm, der Biografien erfindet, die anders sind als bei den Originalfiguren. Die Zeitzeugen haben also auf zwei Dinge reagieren müssen: Sie haben eine Verfilmung des prägendsten Kapitels ihres Lebens gesehen. Sie haben aber auch einen Kinofilm gesehen, der nur auf ihrer Geschichte beruht. Bisher waren alle total zufrieden mit der Mischung aus Fakten und Fiktion. Es war uns sehr wichtig, dass sie den Film gut finden.
- Der Staat gegen Fritz Bauer spielte ebenfalls in der deutschen Nachkriegszeit. Was fasziniert dich so an dem Nachkriegsstoff und der Teilung Deutschlands?
Die Nachkriegszeit ist deshalb so interessant, weil sie die Entwicklung eines Landes nach dem Horror des zweiten Weltkriegs zeigt. Die beiden unterschiedlichen Teile Deutschlands versuchen irgendwie eine neue Vision zu entwickeln. Und bei Fritz Bauer ging es ganz stark darum, dass ohne die Erinnerung an diesen Schrecken keine Zukunft möglich ist. Ein bisschen ist dieser Transformationsprozess auch Teil von Das schweigende Klassenzimmer. Die Schüler im Film suchen nach Antworten und stellen Fragen über die Vergangenheit, die Gegenwart und natürlich auch ihre Zukunft. Ich finde, dass die 50er und dieser Transformationsprozess bisher in Filmen keine große Rolle gespielt haben. Deshalb habe ich da so ein Interesse dran. Ich bin aber natürlich nicht für immer auf die 50er Jahre abonniert. Es gab ja auch nur zwei Teile in Deutschland, deshalb gibt's jetzt auch nur zwei Filme. (lacht)
Trailer - Das schweigende Klassenzimmer

- Wieweit hast du dich an die Buchvorlage gehalten und wo bist du zugunsten der Filmdramatik ausgebrochen?
Wenn man als Kinogänger die Geschichte erzählt, die man da im Kino gesehen hat, erzählt man nichts Falsches. Es ist nur an einigen Stellen dramatisiert. Es gibt zum Beispiel die Figur Erik, der im Strudel der Verhöre irgendwann seinen Klassenkameraden Kurt verrät. Bei diesen Verhören findet er auch Dinge über seine Familie heraus, die er nicht wusste. Es gab diesen Verräter damals tatsächlich, seine Biografie ist jedoch erfunden. Erik erschießt dann irgendwann seinen Schießlehrer, da dieser ein Nazi im neuen Kostüm ist. Auch diesen Schießlehrer gab es damals - und er war auch laut Dietrich ein Nazi, aber er ist nie angeschossen worden.
Die Geschichte hat auch eigentlich nicht in Eisenhüttenstadt stattgefunden, sondern in dem nur unweit entfernten Storkow. Aber in Eisenhüttenstadt gab es einen spektakulären Drehort, um die 50er Jahre wieder auferstehen zu lassen. Außerdem hat die Stadt größere Symbolkraft für dieses junge Land – es war die Vorzeigestadt der jungen DDR.
- Der Soundtrack stammt von dem Hamburger Duo Kaiser Maas. Wie bist du auf die Jungs aufmerksam geworden und wie lief die Zusammenarbeit?
Aufmerksam geworden bin ich durch meinen Regiekollegen Matthias, der mit Christoph Kaiser und Julian Maas vor zehn Jahren das erste Mal für einen Film von mir zusammengearbeitet hat. Und seitdem mache ich alles mit denen, egal ob Kinofilm oder Fernsehfilm. Ich bin ein musikalischer Legastheniker, kann weder ein Instrument spielen noch gut über Musik reden – und mit den beiden kann ich halt sprechen und total gut kommunizieren. Christoph und Julian finden einfach immer den richtigen Ton – und das, obwohl ich total unterschiedliche Sachen mache. Kaiser Maas können einfach ganz unterschiedliche Genres bedienen.

- Leonard, wusstest du vor dem Projekt irgendetwas über den ungarischen Protest?
Schulthema war es nicht. Ich weiß aber aus Erzählungen meiner Mutter, dass meine Oma damals eine Kerze ins Fenster gestellt hat, als der Radiosender RIAS (Rundfunk im amerikanischen Sektor, Anm.d.Red.) zu einer Schweigeminute mit Kerze aufgerufen hat. Außerdem ist meine Mutter in dem Jahr geboren, als das alles passiert ist. Meine Oma hat zu der Zeit wahnsinnig Angst gehabt, dass der Krieg wieder losgeht. All das habe ich aber erst im Zuge meiner Recherche erfahren, als ich dann zu Hause mal nachgefragt habe.
- Wie hast du dich der Figur des Theo und der ganzen Geschichte genähert?
Lars hat uns viele Filme zugeschickt aus der Zeit. Da ging es vor allem um Berlin - Ecke Schönhauser, der von einer Jugendgang handelt – und um Die Halbstarken, der wiederum im Westen entstanden ist. Horst Buchholz war ein bisschen das Vorbild für meine Figur, da Theo am Anfang ja auch ein ziemlich cooler Typ und Draufgänger ist. Wichtige Filme waren auch Karla und Spur der Steine. Die waren lange verboten in der Nachkriegszeit. Für mich war es spannend herauszufinden, warum sie verboten waren. Das hat ja auch ein bisschen was damit zu tun, sich in die Zeit hineinzudenken. Man konnte sehen, was erlaubt war und was nicht, also wie frei man eigentlich war in seinem Denken. Und ich habe natürlich das Sachbuch von Dietrich Garstka gelesen, das Vorbild für den Film war.

- Wie war es für dich, das erste Mal auf der Berlinale mit einem Film zu laufen?
Es war ein kleiner Traum, mal auf der Berlinale einen Film zu haben. Es war eine Riesenpremiere mit fast 2000 Leuten im Friedrichspalast. Wahnsinnig aufregend der ganze Presserummel – ich kannte das ja vorher alles gar nicht, habe es aber sehr genossen.
- Du hast bis 2016 an der Ernst Busch Hochschule in Berlin "Schauspiel" studiert. In wieweit wird man dort auf die Arbeit bei großen Kinoproduktionen vorbereitet?
Wenn man eine Rolle spielt, gibt es grundsätzlich erstmal keinen Unterschied, wie groß die Produktion ist, egal ob Theater, Independentfilm oder große Kinoproduktion. Die Ernst Busch ist eine Theaterschauspielschule, die aber sehr wohl schauspielerische Handwerksmittel verleiht, die man auch im Film einsetzen kann. Sie lehrt einen wahnsinnig viel über Rhythmus von Szenen oder wie man Sprache und Körper richtig einsetzt. Aber es gibt zum Beispiel keine Kameraarbeit dort, nur kleine Workshops.
- Für deine Rolle in Es war einmal Indianerland musstest du ordentlich trainieren, damit man dir den Boxer „Mauser" abkauft. Wieviel Zeit hattest du zwischen den beiden Filmen, um deine Muskeln wieder loszuwerden?
Das ging tatsächlich relativ schnell wieder weg. Vorher waren es vier Monate Hardcore-Disziplin mit nichts anderem als Schlafen, Sport und Essen. Und darauf hatte ich im Anschluss dann natürlich auch keine Lust mehr. Innerhalb von einem Monat kam der Speck dann wieder über die Muskeln. Aber es ging bei der Rolle in Es war einmal Indianerland natürlich nicht nur darum so auszusehen wie ein Boxer, sondern auch sich so zu bewegen. Dafür war es das Mittel. Die Vorbereitungszeit für die Rolle war sehr intensiv. Das Leben eines Profisportlers – auch wenn ich's nur angerissen habe – ist echt hart.

- Was war für euch beide die größte Herausforderung bei Das schweigende Klassenzimmer?
Lars Kraume Die Muskeln von Leo aus seiner vorherigen Rolle wieder wegzukriegen (lacht). Nein, das schwierigste war für mich, die Geschichte so ins Drehbuch zu kriegen, dass sie als Kinofilm funktioniert. Denn die echte Geschichte, wie man sie im Sachbuch liest, ist mit vielen Details überlagert. Und das alles klar zu kriegen, hat viel Zeit gekostet.
Leonard Scheicher Schwer zu sagen, da alles wirklich entspannt war, wir hatten einfach ne verdammt gute Zeit. Dadurch dass Lars hinter der Kamera seit Jahren sein Team zusammen hat, ist es auch vor der Kamera wahnsinnig angenehm, da alle so gut eingespielt sind. Jonas Dassler, Tom Gramenz und ich kannten uns außerdem von der Schauspielschule, so dass es ein bisschen wie ein Klassentreffen war.
- Welches Projekt steht als nächstes an?
Lars Kraume Ich bereite eine Serie über das Bauhaus 1919 vor. Die erste Staffel dreht sich um die Gründungsjahre der Bauhausschule. Da sind wir gerade am Ende der Finanzierung und fangen im September an zu drehen.
Leonard Scheicher Ich widme mich jetzt meiner Diplomarbeit für die Schauspielschule.
- Warum sollte man den Film auf gar keinen Fall verpassen?
Lars Kraume Es ist einfach eine atemberaubende wahre Geschichte über den Wert der Freiheit. Und ich habe die tollsten jungen Schauspieler, die man seit langem im deutschen Kino sehen konnte.
Leonard Scheicher Der Film erzählt eine tolle Geschichte, die berührt und Themen behandelt, die einfach zeitlos sind – wie etwa Solidarität oder Freiheit im Denken.
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