„Xatars Geschichte ist eine neue deutsche Mythologie“
28.09.2022 | Weltpremiere "Rheingold"
Fatih Akins neuer Film „Rheingold" feiert bei der Jubiläumsausgabe des Filmfests Hamburg seine Weltpremiere. Er erzählt die Geschichte des kurdischen Rappers, Dealers, Label-Gründers und Goldräubers Giwar Hajabi alias Xatar. Einem Genre ist er nicht so recht zuzuordnen, muss er auch nicht. Für den Hamburger Regisseur ist es eine neue deutsche Mythologie, wie er uns in einem Interview erzählt. Gedreht wurde er unter anderem in Mexiko, Marokko, in den Niederlanden und natürlich in Hamburg. Ein Heimspiel für Fatih Akin.
Wagner oder Xatar? Welche Musik ist eher im Hause Akin zu hören?
Fatih Akin: Wohl mehr Xatar.
Welche Beziehung hast du zu Richard Wagner? Der Film nimmt ja klare Bezüge zu dessen Oper „Rheingold" und der Nibelungen Sage.
Fatih Akin: Das erste Mal, dass ich bewusst mit Wagner in Berührung gekommen bin, war, als ich als Jugendlicher Francis Ford Coppolas „Apocalypse Now" gesehen habe. Dort unterlegt Wagners Walkürenritt die legendäre Szene, in der ein vietnamesisches Dorf aus der Luft angegriffen wird. Wagner als psychologische Kriegsführung quasi. Ich bin damals in die Bücherhalle und habe alles über Wagner gelesen und habe mir sogar die Schallplatte mit dem Soundtrack gekauft.
Und nun heißt dein Film, der auf der Autobiografie „Alles oder nix: Bei uns sagt man, die Welt gehört dir" von Xatar basiert, „Rheingold" wie die Wagner Oper. War Giwars Vater, der angesehene kurdische Dirigent und Komponist Eghbal Hajabi, tatsächlich Wagner-Fan und hat seinem Sohn von dem „Rheingold, das unsterblich macht" erzählt?
Fatih Akin: Nein, die Familie war wohl eher Beethoven-Fan, passt noch besser zu der Beethoven-Stadt Bonn. Dort, in der ehemaligen Hauptstadt der BRD, hat die aus dem Iran stammende Familie nach einer langen Flucht eine neue Heimat gefunden. Und als ich dann die Geschichte Xatars gelesen habe, sind mir die Parallelen aufgefallen. Der Sage nach liegt das Rheingold ja eben dort in der Nähe im Rhein, aber niemand hat es je gefunden. Das von Xatar und einigen seiner Kumpel 2009 bei einem spektakulären Überfall gestohlene Zahngold ist ja auch nie gefunden worden.
Was hat dich denn so fasziniert daran?
Fatih Akin: Für mich ist Xatars Geschichte so eine Straßen-Mythologie, Migrant*innen sind die neue deutsche Mythologie.
Dein Film basiert zwar auf der Autobiografie, aber du legst Wert darauf, dass „Rheingold" deine Interpretation von Xatars Geschichte ist. Worin unterscheiden sich die beiden Xatars?
Fatih Akin: Ich habe mich schon sehr an der realen Figur orientiert. Aber ich habe das alles glamouröser inszeniert und besetzt als das der Realität entspricht. Emilio Sakraya war da ein Volltreffer. Die Besetzung und das Glamouröse schafft eine gewisse Distanz, die ich brauche. Und dafür nutze ich meinen eigenen Humor. Denn viele Sachen, die da passieren, sind von einer herzhaften Dämlichkeit. Das ist meine Interpretation.
Wie bist du überhaupt auf Xatar und seine Autobiografie gestoßen?
Fatih Akin: Das ist so eine moderne Geschichte. Wir folgen uns schon lange auf Instagram und irgendwann ging das in die analoge Welt über. Ich habe ihn dann mal nach ein paar Schallplatten seiner Künstler gefragt. Es kam ein Riesen-Paket mit T-Shirts, Aufklebern und eben auch mit der Biografie. Als ich die gelesen hatte, war ich total fasziniert und erschlagen von seiner Lebensgeschichte.
Auf den ersten Blick ist es ein Gangster-Film, er lässt sich aber auch Coming-of-Age-, Flüchtlingsgeschichte, als Märchen lesen. Was ist er für dich?
Fatih Akin: Na Mythologie eben, also wenn die Realität irgendwann zur Mythologie wird. Ich kann den Film gar nicht einem Genre zuordnen, das fand ich auch so reizvoll an der Geschichte, dass sie so eklektisch ist, sie verschiedene Genres berührt. Ich habe das als große Großzügigkeit empfunden und auch als etwas sehr Modernes. Genre-Begriffe sind da zu klein.
Wie in vielen deiner Filme gibt es extrem brutale Szenen. Warum ist dir die Darstellung von Gewalt so wichtig?
Fatih Akin: Zum einen ist Gewalt ein sehr visuelles Mittel, um ein physisches Gefühl beim Zuschauer zu erzeugen. Das finde ich sehr reizvoll. Was aber viel faszinierender und der eigentliche Grund ist, ist, dass Gewalt Teil der Figuren und der Welt, in der sie leben, ist. Es ist überhaupt nicht Teil meiner Welt. Aber sobald man die Nachrichten einschaltet, sieht man Gewalt. Gewalt ist omnipräsent und das möchte ich verstehen und auch darstellen und dem Publikum zeigen. Es gibt nicht nur die Ottensener Bullerbü-Welt.
Xatar ist eine sehr ambivalente Figur, der in erster Linie aus Eigennutz und ohne jegliche Skrupel handelt, selbst wenn er damit die Menschen verletzt, die er liebt. Werden die Zuschauer*innen deinen Xatar lieben?
Fatih Akin: Film ist für mich immer Reflexion des Lebens. Und das Leben vieler ist nicht sympathisch. Für mich sind amoralische Figuren immer schon die faszinierenden, komplexeren. Ich denke, wenn man dem Menschen da auf der Leinwand das glaubt, was er tut, und in seine Welt abtaucht, dann ist es egal, ob man ihn wirklich mag oder nicht. Hauptsache ist, dass eine Verbindung entsteht zwischen den Zuschauer*innen und der Figur.
Du hast „Rheingold" in den Niederlanden, in Mexiko und Marokko sowie in fünf verschiedenen Bundesländern gedreht, darunter zehn Tage in Hamburg. Welche Szenen sind hier entstanden?
Fatih Akin: Ich bin kein Fan davon, das so genau zu benennen. Es führt nur zur Desillusionierung. In „Rheingold" spielen die in Hamburg entstandenen Szenen ja gar nicht in Hamburg.
Für dich sind Dreharbeiten in Hamburg ein Heimspiel, was ist hier anders als in anderen Städten oder Bundesländern?
Fatih Akin: Es ist nirgendwo so angenehm zu drehen wie in Hamburg. Die Stadt ist nicht so filmversaut. In Berlin sind Crews wahnsinnig teuer, weil amerikanische Produktionen von Quentin Tarantino, Brad Pitt und Co. die Preise in die Höhe getrieben haben, in Nordrhein-Westfalen sind viele Teams stark vom Fernsehen geprägt. Hier in Hamburg aber bekommst du wahnsinnig professionelle Teams, vieles ist möglich, weil Anwohner und Stadt von Dreharbeiten nicht so genervt sind. Hamburg ist traditionell eine Filmstadt und es macht einfach wahnsinnig Spaß hier zu drehen und das sage ich nicht nur weil ich Hamburger bin.