MOIN Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein

Ein Vermächtnis in 360 Grad

30.08.2023 | Kinostart "Vergiss Meyn nicht"

Steffen Meyn nahm im Rahmen eines Hochschulprojekts rund 25 Stunden Filmmaterial mit seiner 360 Grad-Kamera auf

Ein außergewöhnlicher Film – in jeder Hinsicht: Vor ziemlich genau fünf Jahren wurden die Camps der Umweltaktivist*innen im Hambacher Forst von der Polizei geräumt. Bei der teilweise sehr chaotischen Räumung kommt der Filmstudent und Journalist Steffen Meyn ums Leben, der die Protestbewegung zuvor viele Monate mit seiner Kamera begleitet hat. Drei seiner damaligen Mitstudent*innen haben mit Hilfe seines hinterlassenen 360- Grad Filmmaterials einen Dokumentarfilm gemacht, der am 21. September in den Kinos startet. Wir haben mit den Filmemacher*innen gesprochen.

„Wir drei waren gute Freund*innen von Steffen. Seinen Tod am 19.09.2018 haben wir auf unterschiedliche Weise miterlebt. Jens war zu Hause und hat über Twitter die Nachricht erhalten, dass ein Journalist gestürzt sei. Fabiana saß im Zug zum Hambacher Forst, als sie einen Anruf von Jens erhielt. Dort angekommen, erfuhr sie über eine Pressekonferenz der Polizei, dass der verunfallte Journalist verstorben sei. Kilian stand direkt unter den Bäumen, als Steffen stürzte – mit neuen Speicherkarten für Steffens Kameras." So erinnern sich die drei Filmemacher*innen Fabiana Fragale, Kilian Kuhlendahl und Jens Mühlhoff an den Tag, als Steffen Meyn bei der Räumung im Hambacher Forst aus den Baumwipfeln in 16 Metern Höhe hinunterstürzt und ums Leben kommt. Meyn hatte ihnen in den Monaten zuvor immer wieder Material aus seiner Zeit im Camp gezeigt. Er fand durch seine offene, herzliche Art schnell Anschluss in ihren Baumhäusern und begleitete die Aktivist*innen solidarisch und kritisch zugleich – er blieb dabei stets in der Beobachterperspektive.

Die Kamera stets auf dem Kopf: Steffen Meyn im Baumhausdorf des Camps

Eigentlich drehte Meyn seinen Film im Rahmen eines VR-Projekts an der Kunsthochschule für Medien Köln. Am Ende sollte eine 360 Grad-Installation daraus werden, bei der die Zuschauer*innen sich selbst durchs Camp und den Wald bewegen können. Er drehte dafür insgesamt 28 Stunden Material mit seiner 360 Grad-Kamera, die er stehts auf einen Helm montiert auf dem Kopf trug – hinzu kamen etwa 17 Stunden mit einer Handkamera. „Nach seinem Tod war uns sehr schnell klar, dass mit dem Material etwas passieren muss. Die Frage war nur, in welchem Rahmen", sagt Filmstudentin Fabiana Fragale, die in diesem Jahr ihren Abschluss an der Kunsthochschule in Köln macht. Nachdem das Material Meyns Eltern übergeben wurde, wuchs schnell der Wunsch nach einer größeren Veröffentlichung – und die Entscheidung für den Dokumentarfilm war gefallen.

„Es war nicht leicht, das Material zu sichten und unseren toten Freund jeden Tag zu sehen. Aus unserer Gruppe übernahm Jens den Job, da er am weitesten weg war von Steffen", sagt Fragale. Nach dem Sichten war die größte Herausforderung, das 360 Grad-Bild ins 16:9-Breitbildformat zu bringen: „Das Material war natürlich nicht für eine Kinoauswertung ausgelegt. Wir mussten das Material durch verschiedene Videoprogramme schicken und am Ende stitchen – also so zusammensetzen, dass ein 16:9-Bild draus wird", sagt Kuhlendahl. Die Bildgestaltung fand während des Schnitts statt. Das Team griff sich aus dem 360-Grad Video immer nur einen Blickwinkel heraus. „So hatten wir mehr Gestaltungsspielraum, auch wenn es technisch ganz schön aufwendig war", ergänzt Kuhlendahl, der 2017 seinen Abschluss machte und mittlerweile an verschiedenen Film- und Theaterprojekten arbeitet.

Für das Sichten und den ersten Rohschnitt vergingen knapp zwei Jahre. Doch für den Kontext war es wichtig, auch Menschen aus der Protestbewegung zu Wort kommen zu lassen, mit denen Steffen Meyn vor Ort Kontakt hatte. „Wir haben gezielt nach Menschen gesucht, die in Steffens Videomaterial vorkamen. Die Suche hat dann im Endeffekt nochmal rund zwei Jahre gedauert. Denn im Camp trugen viele Leute Masken und nutzen falsche Namen. Wir mussten uns im Wald also Stück für Stück durchfragen und sind auch zu verschiedenen Klimacamps gereist", verrät Fragale. Die Aktivist*innen zu überreden, über die Zeit mit Meyn zu sprechen, sei dann am Ende nicht schwer gewesen – viele waren sogar froh, nochmal über das Erlebte sprechen zu können.

Die Räumung des Hambacher Forst

Für den finalen Schnitt holte sich das Regie-Trio Unterstützung aus Hamburg. Editor Ulf Albert brachte die Interviews und die 360 Grad-Aufnahmen in die finale Fassung. Bei dem Hamburger Roland Musolff (Musolff Studio) fand das Colour Grading und Sounddesign statt. Der Soundtrack zum Film entstand hingegen in Köln bei Caroline Kox und Antonio de Luca: „Der Soundtrack sollte nicht emotional sein, sondern nur die Stimmung im Wald unterstreichen. Dazu wurde zum Beispiel mit Heulschläuchen gearbeitet, die einen Wind-artigen Sound erzeugen", sagt Fabiana Fragale. Produziert wurde „Vergiss Meyn nicht" von Made in Germany Filmproduktion – der Kontakt zur Produzentin Melanie Andernach kam über den Hochschulprofessor Ingo Haeb. zustande, der das Projekt von Anfang an begleitete.

Im Frühjahr 2023 feierte „Vergiss Meyn nicht" seine Weltpremiere auf der Berlinale – und bekam durchweg positive Kritiken von allen Seiten. „Das hätten wir niemals gedacht. Der Film war noch nicht fertig, als wir ich eingereicht hatten. Als wir dann die Nachricht bekamen, dass er in Berlin läuft, war das irgendwie absurd. Denn es war der Film über einen toten Freund. Wir wollten nie Karriere damit machen. Wir wollten, dass das, was Steffen wichtig war, erzählt wird", sagt Fragale.

Und was war ihm wichtig? Steffen Meyn hatte einen unerschütterlichen Glauben daran, dass Menschen im Guten miteinander umgehen können und sollen. Konflikte mussten aus seiner Sicht nicht gewonnen, sondern gelöst werden. Bei seinem Engagement während der Dreharbeiten folgte er genau dieser Idee. Wie das aussieht, erfahrt ihr ab dem 21. September im Kino.

Credits: Filmstills: W-Films Berlinale: Daniel Seiffert/ Jasper Ehrich
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