Was ist schon normal?
16.02.2023 | Meyerhoff-Verfilmung auf der Berlinale
Mit „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war" hat der Autor Joachim Meyerhoff im Jahr 2013 einen DER Bestseller in Deutschland gelandet. Jetzt hat Regisseurin Sonja Heiss den witzigen, skurrilen und berührenden Stoff auf die große Leinwand gebracht. Der Film feiert in der Jugendsektion der 73. Berlinale seine Weltpremiere und startet am 23. Februar in den deutschen Kinos.
Wenn Iris Meyerhoff mit einem elektrischen Messer – ihrem Weihnachtsgeschenk – an Heiligabend ganz ruhig anfängt, Kartons, Pralinen und Bücher zu zersägen und ihre Familie ihr dabei ungläubig zuschaut – dann weiß man als Zuschauer*in nicht so ganz, ob man lachen, weinen oder etwas beschämt in die Ecke schauen soll. Eine Szene, die exemplarisch ist für den ganzen Film – und zu den Lieblingsszenen von Sonja Heiss gehört. Der Berliner Regisseurin und Drehbuchautorin ist es gelungen, mit ihrer Verfilmung von „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war" gekonnt die Töne der autobiografischen Romanvorlage von Joachim Meyerhoff anzuschlagen, aber dennoch etwas Eigenes zu schaffen. „Der Roman hat viel Witz und Humor, aber gleichzeitig auch eine unglaubliche Tiefe. Ein Mix, der für ein deutsches Buch eher selten ist. Beim Lesen im Bett habe ich mehrfach alleine laut gelacht. Das war der Moment, in dem ich dachte, das sollte man verfilmen", so die Berlinerin.
Die Coming-of-Age-Story einer außergewöhnlichen Kindheit und Jugend in der alten BRD dreht sich um das skurrile Familienleben inmitten einer psychiatrischen Einrichtung. Gedreht wurde an 47 Tagen im Jahr 2021 in Berlin, Brandenburg, NRW, Kanada – und natürlich Schleswig-Holstein. Hier lebt die Familie Meyerhoff auf dem Gelände der größten Kinder- und Jugendpsychiatrie Schleswig-Holsteins auf dem Hesterberg. Vater Richard Meyerhoff ist Direktor der Einrichtung. Für Joachim, den jüngsten seiner drei Söhne, gehören die Patient*innen quasi zur Familie. Eine Kindheit, die alles andere als normal verläuft. Aber um es mit den Worten seines Vaters zu sagen: „Was ist schon normal"?
Sonja Heiss lässt wie auch der Roman die Jahrzehnte an den Figuren vorbeiziehen. Und so brauchte man für die Hauptfigur Joachim gleich drei unterschiedliche Darsteller: Der siebenjährige „Josse" wird von Nachwuchsdarsteller Camille Loup Moltzen gespielt, in die Rolle des 14-jährigen Josse schlüpft Arsseni Bultmann („Die Wolf-Gäng"), Merlin Rose übernimmt schließlich die Rolle des 25-jährigen Joachim. Ein aufwändiger Castingprozess – doch die Regisseurin schwärmt von ihren jungen Hauptdarstellern: „Der kleine Joachim, gespielt von Camille, ist ein wahnsinnig talentiertes Kind, mit einer fantastischen Energie und gleichzeitig einer seltenen Tiefe. Arsseni Bultmann, der den längsten Teil des Films Joachim Meyerhoff verkörpert, ist ein unglaublich toller Schauspieler, völlig im Moment, er hat eine starke Präsenz und berührt einen sehr. Den Humor spielt er todernst, er findet sich selbst dabei nicht witzig – dadurch macht man Humor ja kaputt, wie ich finde. Arsseni ist ein Naturtalent."
Die Eltern werden von Devid Striesow und Laura Tonke gespielt – die dem schon lange nicht mehr glücklichen Ehepaar die nötige Tragik verleihen. Die Mutter sehnt sich nach den lauwarmen Sommernächten Italiens, während der Vater versucht, seine Affären geheim zu halten. Doch die heimlichen Stars des Films sind die Laiendarsteller*innen, für die ein Extra-Casting-Team zusammengestellt wurde. „Wir waren im Vorfeld in vielen Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen unterwegs – etwa in Wohngemeinschaften oder auch Theaterwerkstätten. Wir hatten vor Ort tolle Begegnungen, die auch das Drehbuch beeinflusst haben. Und natürlich tolle Berater*innen, die uns über den ganzen Dreh begleitet haben", so Heiss.
Apropos Drehbuch: Romanautor Joachim Meyerhoff las die Drehbuchfassungen von Sonja Heiss und ihrem Co-Autoren Lars Hubrich, gab Feedback und auch die ein oder andere Info über die Romanvorlage hinaus. Außerdem schickte er ihnen Bilder seiner Eltern und Geschwister und versuchte, ein genaueres Bild seiner Familie aus der damaligen Zeit zu vermitteln. Während der Dreharbeiten war er allerdings nicht am Set: „Joachim hat dann am Ende erst den fertigen Film gesehen – und der hat ihm super gefallen. Das war ein kleiner Herzschlagmoment für uns", verrät Heiss.
Vielleicht gab es auch den einen oder anderen Herzschlagmoment bei den Dreharbeiten in Schleswig-Holstein. Hier drehte die Crew vor Fehmarn einen Großteil der Segelbootaufnahmen in der Ostsee. Um die Welt außerhalb der Psychiatrie möglichst norddeutsch aussehen zu lassen, hat das Team außerdem in Lübeck mehrere Straßenzüge und Klinkerbauten gefilmt. Die Psychiatrie und die Villa der Meyerhoffs wurden jedoch nicht an den Originalschauplätzen in Schleswig gedreht – dafür waren die Gebäude laut Regisseurin zu unterschiedlich und zerstückelt. Fündig geworden sei man schlussendlich in Nordrhein-Westfalen auf einem echten Klinikgelände sowie in Brandenburg.
Sehen kann man all das ab dem 17. Februar in der Berlinale Sektion „Generation 14plus", wo der Film seine Weltpremiere feiern wird. Doch alle anderen müssen nicht lange warten: Bereits am 23. Februar startet „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war" in den deutschen Kinos.